Immer Revisionist

Als in Tübingen der Eurokommunismus blühte

1977 war es soweit: Anton Brenner saß zwischen allen Stühlen. Als DKP-Mitglied traf ihn das Berufsverbot, der Rottenburger Bischof verweigerte dem Religionslehrer die kirchliche Lehrerlaubnis und die DKP erteilte ihrem Mitglied ein Funktionsverbot. Brenner zog nach Wurmlingen und wurde Weingärtner.

18.01.2017

Lehrer, Weingärtner und immer links: Anton Brenner.

Lehrer, Weingärtner und immer links: Anton Brenner.

Um mit einer berühmten Frage zu beginnen. Waren oder sind Sie Mitglied einer kommunistischen Partei?

Anton Brenner: Ich war natürlich Mitglied. Jetzt bin ich Mitglied einer links-liberalen Partei, der Linken, die vertritt so etwa die Positionen der Freiburger Erklärung der FDP von 1972. Das ist so ein Liberalismus mit linkem Einschlag.

Es gibt aber noch die DKP in Tübingen.

Ja, da bin ich aber nicht Mitglied. Ich hab die Linke 1990 mitbegründet und dafür gesorgt, dass die undogmatische KPD-Tradition bei der Westausdehnung der SED die Oberhand bekommen hat. Die DKP ist ja die alte KPD, die 1956 verboten und 1968 unter leicht verändertem Rahmen wieder zugelassen wurde. Hier in Tübingen hatte das mit der DDR nichts zu tun. So wie ich die kennengelernt habe, die kamen aus Mössingen oder Freudenstadt, das waren Uralt-Kommunisten aus der Weimarer Republik. Ich habe ja das „Gläserne Rathaus“ gemacht Anfang der siebziger Jahre. Da haben wir uns umbenannt in Kommunistische Partei Tübingen. Und das gab Ärger. In Stuttgart, Düsseldorf, Essen und so. Aber ich habe das historisch belegen können aus dem Stadtarchiv, weil die Anfänge der Kommunisten in Tübingen so waren, dass die sich Kommunistische Partei Tübingens genannt haben. Wir wollten uns auch ein bisschen absetzen vom Kürzel DKP, das stimmt schon.

Wir waren eher orientiert in Richtung Eurokommunismus. Was natürlich mit Prag 68 zusammenhängt. Den westlichen Kommunisten, wenigstens denen, die einigermaßen bei Trost waren, war ja klar, dass mit 1968 die letzte Chance vorbei war, dass man aus dem Ostblock ein Zukunftsmodell machen konnte. Anfang der 70er hat das Enrico Berlinguer so genannt: Die Leuchtkraft des Realsozialismus sei beendet. Auf der anderen Seite gab es die SPD, die sich nach dem Godesberger Programm als linke Partei selber etwas aufgelöst hat. Da gab es immer wieder Bemühungen, dass man eine gemeinsame Linke zusammenkriegt. In Baden-Württemberg war das die Demokratische Linke. Der Zoff war natürlich der Einmarsch in die Tschechoslowakei.

Jetzt war die Situation damals so, dass Sie von einem weltoffenen Katholizismus, der sich durch das Konzil gerade reformierte, gewechselt sind in einen Dogmatismus, der auch mal mit Panzern sich durchsetzt.

Bevor ich Karl Marx gelesen habe, habe ich Ernst Bloch gelesen. Das Spektrum bei der Linken war um 1970 nicht sehr ansprechend. Was man da tat, war eigentlich verkehrt. Die DKP war bis 1973 auf jeden Fall, teilweise auch bis 1975, ein Sammelbecken für Leute, die undogmatisch waren. Man konnte da auch machen, was man wollte. Es gab natürlich einen Vorsitzenden, der dogmatisch war, und eine zentrale Zeitung, die unlesbar war. Aber die hat von uns auch keiner gelesen. Das Angebot links von der SPD war damals noch schlimmer als die DKP. Das war mehr oder weniger gruselig.

Wir haben den Marxistischen Studentenbund Spartakus hier gegründet aus völlig diffusen Quellen. Das ging vom Humanistischen Studentenbund bis hin zum RCDS, der Studentenorganisation der CDU. Aber da war am Anfang kein einziger Dogmatiker dabei. Die Linken von der SDAJ und dem Club Voltaire haben dann die DKP gebildet, das verbindende Element war Gerhard Bialas, eine Art Galionsfigur aus der Stalinzeit.

Der große Bruch war 1973, als Allende weggeputscht worden war. Da gab es die ersten großen Verhärtungen in der DKP. Die Hoffnung von uns war, dass es einen demokratischen Weg zu so einer Art Allende-Sozialismus geben könnte. Durch den Putsch haben sich die Dogmatiker bestärkt gesehen: Ohne militärische Macht und ohne harte Disziplin geht da gar nichts.

Nach außen hatte die Tübinger DKP in Bialas einen Sympathieträger. Stand dahinter ein Riesenapparat?

Damals nicht. Da hat man vom Apparat niemand gesehen. Das kam erst später mit den ersten Säuberungen 1975/76. Der hauptamtliche Apparat kam erst, als wir sozusagen enthauptet wurden. Wir hatten in Tübingen eine Mehrheit von Leuten, die eine eurokommunistische Position vertreten hat, die gleichen Positionen wie die Dissidenten in der DDR. Wenn wir in der DDR gelebt hätten, hätten wir spätestens 1976 Berufsverbot gekriegt, wären wir alle rausgeflogen. Bialas war natürlich dagegen. Der war die alte harte Parteidisziplin gewohnt. Er war einer von denen, die das kadavermäßig vollzogen haben.

Ein weiterer Wendepunkt war ja die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976.

Wir haben uns dagegen verwahrt. Wir hatten hier seit 1972 gegen die Berufsverbote gekämpft, und dann kommt die DDR und bürgert den Biermann aus. Das ging natürlich nicht. Dann kamen die Kommissare aus Stuttgart oder woher auch immer. Aber bis dahin konnten wir in Tübingen machen, was wir wollten.

Wie würden Sie Ihre Position beschreiben?

Ich bin ein Revisionist im klassischen Sinn. Oder ein verkappter SPDler. Das ist ja alles relativ. Ein 68er bin ich nie gewesen. Eher ein Mitglied, der 2½ Internationale, die der Kautskianer. Oder ein Anhänger der Neuen Ökonomischen Politik von 1922, als Lenin die Parole ausgegeben hatte: Bereichert euch. Oder ein Anhänger Bucharins.

Versteht das heute noch irgendjemand?

Nein. (Lacht.) Aber ich komme auch aus dem Museum der Arbeiterbewegung.

Das Interview führte Fred Keicher / Bild: Keicher

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Erstellt:
18.01.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 37sec
zuletzt aktualisiert: 18.01.2017, 01:00 Uhr

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