Aus der Luft und zu Fuß (4)

Bad Niedernau

Nachdem in Niedernau 1471 ein sogenannter Sauerbrunnen gefunden wurde, dessen leicht sprudelndes Calcium-Hydrogencarbonat-Sulfat-Wasser für eine gesunde Verdauung und damit für Wohlbefinden sorgt, wurde aus dem kleinen Ort in der Grafschaft Hohenberg ein Anziehungspunkt für die gesamte Region.

02.11.2017

Von Andrea Bachmann

Bild: Erich Sommer

Bild: Erich Sommer

Im 18. Jahrhundert wurde die kleine Konradskapelle, die 1127 zum ersten Mal erwähnt wurde, zu einer richtigen Pfarrkirche ausgebaut. 1804, kurz bevor der kleine Ort, der sich ab 1936 „Bad Niedernau“ nennen darf, zum Königreich Württemberg gehört, kaufte Dr. Franz Xaver Raidt das kleine Bad und baute es aus. Bad Niedernau wurde schick und schön und ,„unstreitig dermalen eines der angenehmsten Bäder, wo nicht das angenehmste in Württemberg. Selten findet man so viel Sinn und Geschmack in Einrichtung und Anlagen, so viel Ordnung und Aufmerksamkeit in Bedienung und Unterhaltung“.

Grund genug für den Juristen und Bankier Kilian von Steiner, hier zu Beginn der 1870er-Jahre seine Sommerresidenz aufzuschlagen. Steiner war Gründer, Justiziar oder Direktor der Württembergischen Vereinsbank, der Deutschen Bank, von BASF, Daimler, WMF und diversen anderen Banken und Wirtschaftsunternehmen. Niedernau war für ihn die perfekte Sommerfrische. Eine ländliche Idylle, in die er eine schöne Villa mit „englischem“ Garten bauen ließ, mit schickem Kurbetrieb. Bahnhof, Post und Telegraphenamt stellten den ständigen Kontakt zur großen weiten Finanzwelt sicher und im weitläufigen Kurpark ließ sich trefflich netzwerken: Politiker, Bankiers und Industrielle gaben sich bei Steiners ebenso ein Stelldichein wie der Maler Franz Lenbach und der großartige schwäbische Schriftsteller Berthold Auerbach. Ab 1914 beehrte selbst die Königsfamilie Niedernau mit ihrem Besuch.

Aber es war nicht diese Haute Volée, die dem jüdischen Juristen aus Laupheim die Niedernauer Ehrenbürgerwürde einbrachte, sondern seine Großzügigkeit der Gemeinde gegenüber: sowohl die Innenrenovierung der Sankt-Konrads-Kirche als auch der Bau des Pfarrhauses gingen auf seine Kosten.

Nach zwei Weltkriegen war von dem mondänen gründerzeitlichen Kurbetrieb nicht mehr viel übrig. In den 50er-Jahren strandeten schließlich fünfzehn Nonnen in Bad Niedernau, die dem Orden der Armen Schulschwestern angehörten und aus Filipowa in der Batschka stammten. In diesem ehemaligen österreichischen Kameralgebiet hatten jahrhundertelang Deutsche gelebt, die nach dem Krieg verschleppt und vertrieben wurden. Das Ordinariat in Rottenburg setzte die Schwestern, die in Filipowa an einer Mädchenschule unterrichtet hatten, in Kindergärten und Schulen ein und kaufte schließlich die ehemalige Villa Steiner in der Badstraße, um dort eine Schule für Spätaussiedlerkinder einzurichten.

1966 bekamen die Schwestern ein völlig neue Aufgabe: Nachdem eine neue Heilquelle entdeckt worden war, bekam der Kurbetrieb in Bad Niedernau einen neuen Aufschwung. Man baute ein neues Kurmittelhaus mit Anwendungsräumen und einen Neubau für die Schwestern, die bis 1989 den Betrieb des Sanatoriums organisierten. Gleichzeitig wurde Bad Niedernau zu einem geistlichen Zentrum für die Vertriebenen aus der Batschka, die dort 1979 eine Kapelle bauten.

Mittlerweile lebt nur noch eine dieser Schwester im Mutterhaus der Kongregation in München und die Klinik ist zur Hälfte an die Emil-Schlegel-Klinik verpachtet. Die andere Hälfte wartet auf Menschen mit Ideen, die dem nostalgischen Charme der 70er-Jahre-Einrichtung neues Leben einhauchen könnten.

Bild: Erich Sommer

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