Vielfalt als Schutz

Claudia Görke aus Ofterdingen erforscht Pilze

Über Pilze hört man zur Zeit nur Schreckensmeldungen: Die Wälder seien wie ausgeräumt. Wegen der übergroßen Trockenheit gebe es keine Pilze. Nein, sagt Claudia Görke, es gibt keine Fruchtkörper von Speisepilzen.

12.10.2016

In Mexiko eine Delikatesse: der Maisbeulenbrand.Bild: Görke

In Mexiko eine Delikatesse: der Maisbeulenbrand.Bild: Görke

Mycelien im Boden gibt es aber schon. Dass sie keine Fruchtkörper ausbilden, hat für die promovierte Biologin und Pilzexpertin Konsequenzen. Pilzführungen müssen ausfallen, für die schon traditionelle Pilzausstellung am vergangenen Sonntag im Haus des Waldes in Degerloch mussten die Ausstellungspilze von weit her geholt werden.

Zum Essen interessieren Pilze Görke eher weniger. Pilze sammeln geht sie nicht als Vorbereitung eines Pilzgerichts. „Das ist nur zum Vorteil der Pilze“, sagt sie. Obwohl Pilze sammeln nicht schädlich ist: „Das ist wie wenn man Äpfel erntet.“ Beschränken sollte man sich trotzdem. Erlaubt ist ein Kilogramm pro Person pro Tag.

Das Caesium aus Tschernobyl dürfte kaum noch ein Thema sein. Seine Halbwertszeit ist erreicht, das heißt aber, dass immer noch die Hälfte strahlt. Nur wenige Pilze speichern Caesium so stark, dass es bei uns noch nachweisbar ist, zum Beispiel die Hirschtrüffel, die wächst unterirdisch und wird – Überraschung – nicht vom Menschen, sondern von Wildschweinen gefressen.

„Die Pilze – das ist ein ganz eigenes Reich“, sagt die Forscherin, „das umfasst weit mehr als das, was man üblicherweise darunter versteht, eben solche mit Hut und Stiel.“ Diese Vielfalt ist das Ergebnis der Anpassung an die Lebensbedingungen. „Wenn dir immer der Fruchtkörper weggefressen wird, musst du dir überlegen, wie du langfristig dein Überleben sicherst.“ Natürlich denken sich Pilze keine Strategien aus. Hinter dieser alltagssprachlichen Formulierung steht die einfache Regel der Evolution: Wer sein Überleben nicht sichert, der ist irgendwann weg. Überleben ist alles.

Pilze sind Überlebenskünstler, die oft perfekt auf eine bestimmte natürliche Umgebung passen und nur auf diese. Einige sind Schmarotzer. Andere ermöglichen Pflanzen das Überleben, etwa die vielen Mykorrhizapilze im Boden.

Was aber ist der ökologische Sinn etwa des Botrytispilzes im Weinberg? „Erstens“, sagt die Expertin und strahlt, „ist er unheimlich schön unter dem Mikroskop, zweitens beschert er uns die wunderbare Edelfäule.“ Aber wenn er schon im Frühsommer zuschlägt, dann zerstört er die Trauben. Die Biologien hält den Pilz immer noch für völlig unschuldig: „Das kommt daher, wenn man ihm ein Schlaraffenland in Form einer Monokultur bereitet.“

Dasselbe gelte auch für den Echten und den Falschen Mehltau. Der letztere sei allerdings eher eine Alge. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie zu uns aus der Neuen Welt eingewandert sind. Diese Gefahr droht auch heute noch. So breiten sich etwa Pilze weltweit aus, die Bananen oder Orangen vernichten. Gefeit ist man davor auch in Europa nicht. „Vielfalt ist der beste Schutz“, sagt Görke.

Manchmal kämpfe man auch gegen Pilze, die anderswo als Delikatesse gelten. Beim Mais zum Beispiel schaltet man hierzulande den Maisbeulenbrand mit großem Aufwand aus. In Mexiko, wo er herkommt, lässt man ihn wachsen und erntet ihn jung – und isst ihn gesüßt oder gesalzen, eingemacht oder gegrillt. Fred Keicher

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Erstellt:
12.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 12.10.2016, 01:00 Uhr

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