Ein bisschen Magie

Der Nikolaus ist nicht der Coca-Cola-Mann

Der TAGBLATT ANZEIGER konnte exklusiv mit dem Rottenburger Nikolaus sprechen.

06.12.2017

Von Andrea Bachmann

Der Nikolausmarkt in Rottenburg findet vom 8. bis 10. Dezember rund um den Dom statt. Der Nikolaus hat sein Kommen fest zugesagt!

Der Nikolausmarkt in Rottenburg findet vom 8. bis 10. Dezember rund um den Dom statt. Der Nikolaus hat sein Kommen fest zugesagt!

Wie kommt der Nikolaus nach Rottenburg?

Über die Liebe! Meine neue Frau ist Rottenburgerin und deshalb bin ich hergezogen. Aber ich war auch schon als Kind viel in Rottenburg und habe das Gefühl, jetzt daheim zu sein.

Wo kommt der Nikolaus her?

Aus Lykien, dem früheren Byzanz. Da gibt es heute noch die Stadt Myra, die früher Bischofssitz war, und die mit schönem Mosaikfußboden geschmückte Ruine der Nikolauskirche. Einmal habe ich gesagt, der Nikolaus käme aus der Türkei – heute ist das ja die Türkei. Daraufhin hat jemand einen Leserbrief in der Zeitung geschrieben, weil ihn das geärgert hat. Aber wer weiß heute denn, wo Lykien war?

Was macht der Nikolaus in Rottenburg?

Er eröffnet gemeinsam mit dem Oberbürgermeister den Nikolausmarkt und verteilt Geschenke an die Kinder: Äpfel, Orangen und ein bisschen Süßes.

Der Nikolaus ist eine Art Saisonarbeiter. Was macht er den Rest des Jahres?

Da mache ich Stadtführungen, engagiere mich in der Bürgerwache und der Stadtkapelle und fotografiere gern. Das mache ich aber alles unter meinem Pseudonym Ekkehard Kaupp.

Das schöne Gewand, das Sie tragen, stammt doch bestimmt direkt aus Byzanz?

Nein. Irgendwann braucht auch der Nikolaus neue Kleider. Mantel, Mitra und Albe werden von einer Münchener Firma angefertigt, die Messgewänder für die katholische Kirche herstellt. Meinen Krummstab hat der Bruder meiner Frau gemacht. Das sieht alles ehrwürdig aus und die goldene Farbe erinnert ein bisschen an meine byzantinische Heimat.

Kennt man den Nikolaus eigentlich noch? Oder ist der Weihnachtsmann bekannter?

In Rottenburg kennt den Nikolaus wirklich jedes Kind. Aber auch der Weihnachtsmann wird oft Nikolaus genannt. Vor drei Jahren war der Coca-Cola-Truck in Rottenburg und die haben mich eingeladen. Erst habe ich mich ja geziert. Aber dann konnte der Moderator dort wirklich gut erklären, dass ich der richtige Nikolaus bin und die Coca-Colafigur der Weihnachtsmann. Auswanderer brachten den Nikolaus von Deutschland und Holland nach Amerika, wo er im 19. Jahrhundert dieses rotweiße Outfit bekam. 1931 brachte Coca-Cola einen rotweiß gewandeten Weihnachtsmann als Werbefigur wieder zurück nach Deutschland und hat den Bischof Nikolaus etwas verdrängt. Die gute Erklärung hat mich dann mit dem amerikanischen Kollegen versöhnt.

Als Martin Luther in der Reformationszeit die Heiligen abgeschafft hat, brauchte er jemanden, der die Geschenke brachte – denn auf die wollte natürlich niemand verzichten. Martin Luther soll deshalb das Christkind erfunden haben. Das wiederum brauchte jemanden, der ihm hilft, den schweren Sack zu tragen. Das machte natürlich wie bei mir der Knecht Ruprecht, der in anderen Gegenden Pelzmärtel heißt. Und den nannte man irgendwann eben auch Weihnachtsmann.

Warum bringt der Nikolaus eigentlich Geschenke?

Weil er ein großzügiger und liebenswürdiger Mann ist! Die Orangen in seinem Sack erinnern an die goldenen Äpfel, die er einmal drei sehr armen Mädchen geschenkt hat, die ihr Vater sonst als Sklavinnen hätte verkaufen müssen. Als Piraten die Stadt Myra überfallen haben, hat er ihnen den gesamten Kirchenschatz gegeben, damit sie die Bevölkerung verschonten.

Manchmal hilft ihm der liebe Gott: Als in einer Stadt eine Hungersnot herrschte, legte eines Tages ein Schiff voller Korn im Hafen an. Es war natürlich Sache des Bischofs, mit den Leuten zu verhandeln, die meinten, sie müssten das ganze Korn dem König bringen, sonst würden sie grausam bestraft. Probehalber wurden trotzdem ein paar Scheffel Getreide an Land gebracht – und siehe da: das Korn auf dem Schiff wurde überhaupt nicht weniger, auch nicht, als alle Einwohner der Stadt längst satt zu essen hatten! Nikolaus hat sich schon immer um die Armen und Besitzlosen gekümmert.

Ist der Nikolaus auch noch für andere Dinge zuständig?

Ja, er ist der Schutzpatron der Seeleute. Da gefällt es mir natürlich, dass es in Rottenburg eine Marinekameradschaft mit einem Shantychor gibt. Außerdem beschützt er die Kinder.

Letztes Jahr hatte ich ein schönes Erlebnis: Eine syrische Flüchtlingsfamilie kam mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm zu mir und wollte, dass ich es segne. Das hat mich sehr gefreut.

Man braucht also auch heute noch einen Nikolaus?

Unbedingt. Und zwar nicht so sehr den pädagogischen Hilfssheriff, der den Kindern sagt, dass sie ihr Zimmer aufräumen sollen. Die Menschen brauchen auch noch ein bisschen Magie. Nikolaus erinnert sie daran, dass die Weihnachtszeit nicht nur aus Glühwein und Konsum besteht.

Interview: Andrea Bachmann