Spezielle Kunstform

Der Tübinger Kultur- und Medienwissenschaftler Ulrich Hägele hat eine Monographie über die Geschicht

Ulrich Hägele, der als Privatdozent am Zentrum für Medienkompetenz der Universität Tübingen lehrt und forscht, hat ein neues Buch zu seinem Spezialgebiet, der medialen Visualisierung, herausgebracht. Die über 350 Seiten starke Monografie trägt den Titel „Experimentierfeld der Moderne“, ist reich bebildert und beschäftigt sich mit dem Stilmittel der Fotomontage.

18.10.2017

„Kanonenflug“, eine Fotomontage von Julius Wilhelm Hornung aus dem Jahr 1895. Der Tübinger Fotograf Julius Hornung hatte sein Atelier in der Uhlandstraße 11.

„Kanonenflug“, eine Fotomontage von Julius Wilhelm Hornung aus dem Jahr 1895. Der Tübinger Fotograf Julius Hornung hatte sein Atelier in der Uhlandstraße 11.

Der Autor begibt sich „auf die Suche nach den Wurzeln der Fotomontage: der politischen und der ironisch-witzigen bis satirischen.“ Sein Bildverständnis ist dabei ein kommunikatives, das bedeutet: Er versteht ein Bild als lesbar in dem Sinne, dass es wahrnehmbar, beschreibbar, analysierbar und interpretierbar ist.

Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass die ausgewählten Beispiele historisch sind und daher nicht spontan auf den ersten Blick in ihrer Bedeutung erfasst werden können. Es ist Recherchearbeit nötig, um die Montage vor dem Kontext ihrer Entstehung richtig einordnen zu können.

Für die Sammlung der Bilder im Buch hat der Kulturwissenschaftler Ulrich Hägele bereits vor der Etablierung des Internets mühevolle Pionierarbeit geleistet, vor Ort Archive und Bibliotheken und sogar einschlägige Flohmärkte in Paris durchforstet – mit einem beeindruckenden Ergebnis. Er zeigt und beschreibt die vielfältigen Spielarten der Fotomontage, welche die Rolle einer speziellen Kunstform einnahm, bereits im 19. Jahrhundert in Gestalt von Mosaikkarten zum Massenprodukt avancierte und in der Funktion eines Erinnerungsbilds im Deutschen Reich beliebt war.

Die damals verbreiteten Medaillon-Tableaus, die verschiedene Soldaten nebeneinander abbildeten, dienten einem patriotischen Zweck, zugleich jedoch hatten sie einen tröstenden Charakter. „Indem der eigene Sohn zwischen einer Vielzahl von Gleichen unter Gleichen dargestellt wird, war für die Angehörigen das zu erwartende Leid im Krieg als geteilt und entsprechend weniger schlimm für das Individuum wahrnehmbar.“

Ein eigenes Kapitel widmet Hägele dem Tübinger Fotografen Julius Wilhelm Hornung, dessen Satiremontagen sich ironisch mit Themen des Kaiserreichs beschäftigen. Typisch für den Fotografen, der in der Uhlandstraße 11 sein Atelier hatte, sind Kompositionsbilder mit skurrilen Figuren in absurden Arrangements, meist vor Tübinger Kulisse (siehe obiges Bild).

Im Weiteren nimmt das Buch den Leser mit auf eine Zeitreise zur Geburt der Post- und Ansichtskarte und ihren Boom in den Gründerzeitjahren bis zum ersten Weltkrieg.

Die letzten drei Kapitel der Monographie beschäftigen sich mit der Fotomontage in Zeitungen, deren Darstellungen, Motiven und Techniken deutlich anzusehen ist, dass sie heutigen Kompositionsbildern den Weg bereitet haben, die aus „dem medialen Alltag“ der „digitalen Gegenwart“ nicht mehr wegzudenken sind.

Insgesamt ist es Ulrich Hägele gelungen, einen Überblick zu schaffen, welcher das Feld der Fotomontage von 1890 bis 1940 ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber doch sehr umfassend absteckt. Dieser historische Rückblick, fachmännisch kommentiert und analysiert, gibt dem Leser das theoretische Rüstzeug an die Hand, die Bildsprache unserer Gegenwart besser zu deuten. Der Autor verliert sich nicht in einer komplizierten Wissenschaftssprache, sondern formuliert seine Thesen klar und nachvollziehbar, wodurch die Lektüre auch für den interessierten Laien ansprechend und spannend ist. Ganz abgesehen von der reichen Sammlung an Bildern, die dem Buch allein schon einen hohen Wert verleiht. Philipp Schmidt

Ulrich Hägele:

Experimentierfeld der Moderne – Fotomontage 1890 – 1940,

erschienen bei der Tübinger Vereinigung für Volkskunde, 2017. 39,90 Euro

ISBN: 978-3-932512-91-9

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Erstellt:
18.10.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 28sec
zuletzt aktualisiert: 18.10.2017, 01:00 Uhr

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