Die Vier sind zurück

Die Fantastischen Vier kommen am Freitag zu einem großen Openair-Konzert

Deutschsprachige Rap-Songs aus Hip-Hop-Beats, Funk-Samples und schnellem deutschem Sprechgesang – damit stellten die Jungs von den Fantastischen Vier Anfang der 90er-Jahre die Popwelt auf den Kopf.

19.07.2017

Schnellen, deutschen Sprechgesang können sie perfekt: die Fantastischen Vier. Bild: Jürgen Spieß

Schnellen, deutschen Sprechgesang können sie perfekt: die Fantastischen Vier. Bild: Jürgen Spieß

Unbefangen rappten sie über ihre Abenteuer in der deutschen Großstadt, und zwar zu einer Zeit, als HipHop noch als heiliges Sprachrohr des amerikanischen Ghettos galt.

Am Freitag stellen die Stuttgarter HipHop-Stars ihr neuntes Album „Rekord“ beim Sparkassen Carré vor. Sowas hatte man noch nicht gehört. Vor allem nicht von einem tätowierten Friseur, einem blassen Internetfreak, einem gelernten Eisenwarenkaufmann und einem schüchternen Studienabbrecher der Informatik.

Die Single „Die Da“, ein gutgelaunter Song über eine verhängnisvolle Dreiecksbeziehung, verkaufte sich 1992 mehr als 350 000 Mal. Und auch das Werbefernsehen wollte von dieser neuen Popkultur profitieren. Für 250 000 Mark bekam schließlich der Saft-Fabrikant von „Hohes C“ den Zuschlag für die Musikrechte. Aus HipHop, der aus den afroamerikanischen Ghettos der USA stammenden Musik, war endgültig ein deutsches Phänomen geworden. Thomas D., einer der drei Rapper, erklärte damals diesen Umstand auf MTV so: „We are from the Mittelstand, you know“.

Wenn die 1989 in Stuttgart gegründeten Fantastischen Vier nun nach einer kleinen Erholungspause auf die Bühne zurückkehren, dann tun sie das in dem Wissen, dass ihnen niemand mehr nehmen kann, dass sie es waren, die in den späten 1980er-Jahren den deutschen HipHop entdeckt haben. Zudem ist das größte Kapital des Quartetts – neben ihrem Talent zu reimen – immer noch ihre Originalität, mit der sie stets neue musikalische Formen angehen. Die Fantastischen Vier waren ihrer Zeit schon immer einen Beat voraus. Gut, auch sie konnten sich nicht dem Modediktat der 80er-Jahre entziehen. Im Gegenteil. Die Jungs waren richtige Popper, trugen blondierte Haarsträhnchen, buntbedruckte T-Shirts in Übergröße und gerne auch mal stonewashed Karottenjeans.

Aber während ihre Altersgenossen in schicken Diskotheken mit Bacardi-Cola rumhingen, wo an guten Abenden Duran Duran und die Pet Shop Boys gespielt wurden, verbrachten sie ihren Samstagabend in den GI-Clubs amerikanischer Militärquartiere. Und von denen gab es Anfang und Mitte der 80er-Jahre rund um Stuttgart immerhin ein gutes Dutzend. Schließlich befürchteten hier die Amerikaner den Angriff des Ostblocks: Hier verlief ihre „Last Line of Defense“. Was für ein Glück für die jungen Popper. Denn was sie in den GI-Clubs erlebten, war die Geburt einer neuen, aufregenden Popkultur.

Da standen farbige Soldaten in Zivilkleidung und bearbeiteten ihre Plattenspieler wie Besessene. Sie scratchten, als gehe es darum, ein Feuer zwischen Nadel und Rille zu entfachen. Dazu knallte ein dumpfer Beat aus den Boxen. Und über diesem wunderbaren Höllenlärm rappte meist ein dunkelhäutiger GI. HipHop, die Straßenmusik amerikanischer Slums, hatte seinen Weg nach Deutschland gefunden. Das war 1985. Heute ist deutscher Sprechgesang ein wichtiger Teil deutscher Hitlisten. Und wenn die vier Männer, die dafür verantwortlich sind, And Y. (bürgerlich Andreas Rieke), Smudo (bürgerlich Michael B. Schmidt), Hausmarke (bürgerlich Michael Beck) und Thomas D. (bürgerlich Thomas Dürr), am Freitag die Openair-Bühne beim Sparkassen Carré betreten, dann gibt es keine Rockposen, dann wird gerappt und gehüpft. Im Publikum wie auf der Bühne. Auf und ab. Wie diese aufgezogenen Osterhasen in der Batteriewerbung.

Doof oder lächerlich sieht das aber nicht aus. Eher angemessen. Wie soll man sich auch sonst bewegen, wenn man Sachen singt wie „Keine Zeit mehr für gar nichts, denn seitdem sie da ist, bin ich noch süchtiger nach ihr als ein Hippie nach Cannabis“. Oder: „Und ich schwitz jedes Mal, wenn sie den Raum betritt, als ob ich mit einer Daunenjacke in der Sauna sitz‘. Aber das, Baby, ist halt der Hammer“, wie Michi Beck in Unterhemd und Golfer-Hose gerne den schreienden Mädchen in der ersten Reihe bestätigt. Und mal ehrlich. Hat jemand schon einmal das Gefühl der verlorenen Liebe besser auf den Punkt gebracht? „Denn ich möchte mal wissen, welcher Film auf dieser Welt einen Oscar erhält, in dem die weibliche Hauptrolle fehlt“, rappen sie in einem ihrer größten Hits, „Sie ist weg“.

Schon deswegen muss man die Fantastischen Vier einfach lieben. Und ihre CDs kaufen, auf ihr „Vier & Jetzt“-Konzert – übrigens ihr erstes in Tübingen überhaupt – rennen und ganz nebenbei die „Lyrik der späten Neunziger“ kennenlernen, wie es der Spiegel einmal nannte. Jürgen Spieß

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19.07.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 19.07.2017, 01:00 Uhr

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