Die schwäbischen Hobby-Filmemacher von Mania Pictures drehen ihren achten Krimi

19.10.2016

Von Sabine Besenfelder

Mit kritischem Blick beim Dreh: Ohne Armin Schnürle (Mitte) geht gar nichts bei Mania Pictures. Bilder: Raphael Weckauff

Mit kritischem Blick beim Dreh: Ohne Armin Schnürle (Mitte) geht gar nichts bei Mania Pictures. Bilder: Raphael Weckauff

Ein Montag im September, 13 Uhr. Calw-Wimberg, eine ruhige Wohnstraße. Ein Einfamilienhaus mit Garten. Zum Haus führt ein Weg aus Sandsteinplatten. Vor der Haustüre: allerlei Materialkoffer, eine Bank mit einigen benutzten Kaffeetassen darauf, ein überquellender Aschenbecher. Ein Mann mit Tonangel in der Hand und Kopfhörern tritt aus dem Haus, lächelt freundlich und fragt: „Hast Du mal Feuer? Irgendjemand hat mein Feuerzeug eingesteckt.“

Innen im Haus: ein Schlafzimmer. Schlichter 1970er-Jahre-Stil. Gerahmte Familienfotos auf dem Nachttisch. Die eine Bettseite ist leer. In der anderen liegt Tilo Prückner im blauen Jersey-Schlafanzug. Um ihn herum Kameramann, Regisseur, der Tonmann, ein Praktikant.

„Wo ist der Stift für die Klappe? Holt den mal einer?“ Dann: „Achtung, Ruhe, wir drehen“ – „Szene 3.2, die Erste“ – „Kamera läuft“ – „Ton läuft“ – „Und: bitte.“

Von außen ist das Fenster so umbaut, dass mit Filmleuchten Morgenlicht simuliert werden kann. Tilo Prückner hört den Wecker, wacht auf, blickt hinüber zur leeren Bettseite, zu den Fotos dahinter, steht auf, schlurft ein paar Schritte. Für den nächsten Take wird auf Wunsch des Kameramanns das Kissen aus dem zweiten Bett herausgenommen. Prückner sagt: „Ja. Das ist besser so, trostloser.“

Es ist die zweite und letzte Drehwoche. Die Tagesdispo sieht vor: „8:00 Uhr: Setaufbau. 8:20 Uhr: Abholung Tilo. 9:00 Drehbeginn. [...] 13.00 bis 13.30 Mittagessen. 14.30 Uhr: Umbau auf Nacht. [...] 18.30 Tilo nach Zavelstein. 20:30 Drehbeginn dort. 21:00 Uhr: Abbau.“ Als Team vor Ort sind an jenem Tag acht bis zehn Personen, mehr Männer als Frauen, bis auf den Hauptdarsteller und die Hair-und-MakeUp-Artistin bekommt niemand Geld für sein Tun. Alle anderen investieren ihre Urlaubstage, ihre Freizeit, ihre Semesterferien.

Der Ablaufplan ist minutiös, alleine für die Drehorganisation braucht es drei Monate Vorbereitung. Nach Feierabend. Jeden Abend. Diese Zeit investiert Armin Schnürle. Er ist in Personalunion Drehbuchschreiber, Produzent, Regisseur und für den Schnitt zuständig – und er ist der Kopf von „Mania Pictures“, einer Gruppe, die semiprofessionell abendfüllende Filme dreht. Schnürle sagt über sich selbst, er sei „kein Techniker“, die Bildgestaltung interessiere ihn. An den Drehbüchern schreibt er drei bis vier Monate, der dramaturgische Bogen sei hier sein Hauptproblem. „Die Dialoge, die ergeben sich dann von selbst, das ist nicht so schwer.“ Aber, und das sollten Zuschauer beherzigen: Sie sind manchmal ziemlich schwäbisch. Wer also „Tatort Calw“ genießen möchte, sollte den Dialekt schon verstehen.

Beim Dreh ist Schnürle sehr klar, sehr kritisch, sehr knapp. Sein Leberkäsweckle bleibt in der Pause unangetastet. Er schont sich nicht, auch nicht mit Selbstkritik: „Zum Glück weiß das Publikum, das den Film sieht, nicht, was ich vorhatte ... Beim Drehbuchschreiben habe ich immer die große Vision, sehe einen Hollywoodfilm vor mir – und dann kommen diese vielen Kompromisse, die gemacht werden müssen.“ Kein Wunder, bei einem Budget von 15 000 Euro pro Film, von dem ein Großteil für die Technikmiete draufgeht.

Ende der 1980er Jahre hatte sich Schnürle als Schüler an seinen ersten eigenen Film gewagt, noch zu Schulzeiten wurden es insgesamt sechs Stück. Der filmende Freundeskreis formierte sich zu „Mania Pictures e.V.“, die erste größere Produktion war 1993 „Tastenwahn“. Inzwischen ist man bei weit über 20 Filmen angekommen. Seit dem Jahr 2000 ist die Nische gefunden: Bisher gibt es sieben „Tatort Calw“-Filme, gedreht wird zur Zeit „Tatort Calw: Der Seher“, Filmstart in den Kinos der Region ist Ostern 2017.

Bei den „Tatort Calw“-Filmen wie auch bei der Trilogie „Village People“ über den erfundenen Schwarzwaldort Schweinbach gilt: Die Mischung macht’s. Viel Lokalkolorit, eine krimiartige Handlung, viel Humor. Und je länger die Filmerei betrieben wird, desto wichtiger werden Drehbuch und Schauspieler – früher setzte die Truppe noch heftig auf „Gags“, erfüllte sich Filmerträume, also: explodierende Wohnwagen, Panzer im Einsatz, KungFu-Kämpfe, Auto-Rennen durchs Maisfeld.

So professionell müssten die Filme aber gar nicht sein. Ein großer Teil des Publikums geht nur wenige Male im Jahr ins Kino, manche sogar nur dann, wenn ein neuer „Mania Pictures“-Film Premiere hat. Ein Stammpublikum, das die MP-Filme liebt, und auch die lokalen Werbefilmchen, die jedesmal eigens von MP gedreht werden.

Doch es gab auch schon Flops: Der Film „Herzlos“ von 2014 spielte gerade mal die Hälfte seiner Kosten wieder ein – und hinterließ reichlich Verstimmung beim ehrenamtlichen Team, weil fast nur Profischauspieler zum Einsatz kamen.

Überhaupt: Die Sache mit den Promis. Ursprünglich hatte man Darsteller „echter“ Tatort-Filme um kleine Auftritte gebeten, um die Nennung ihrer Namen als Publicity-Gag nützen zu können. Die Gastauftritte waren stets so geplant, dass bei einer Absage auch ein Laiendarsteller hätte einspringen können. Doch es hagelte Zusagen: zuerst Dietz Werner Steck, dann Jochen Senf, dann Robert Atzorn. Tilo Prückner, den Jochen Senf damals ansprach, ist mittlerweile schon so lange dabei, dass er gar nicht mehr sagen kann, warum. „Aus Tradition“, sagt er. Und von ihm und den weniger prominenten Berufs-Schauspielern wie Nikolai Will, und – schon seit 2002 dabei – Lucia Schlör profitieren die Laiendarsteller in der Zusammenarbeit sehr.

Die Teilnahme der Profis macht allerdings auch die Drehplanung komplizierter, ihretwegen wird immer öfter mehrere Tage am Stück gedreht, und nicht mehr an den Wochenenden wie früher. Das macht die Planung aufwändiger, aber die Drehs leichter. Tilo Prückner zum Beispiel, hat gerade Drehpause bei „Rentnercops“, seiner Vorabendserie in der ARD. Während der Wartezeiten in Calw blättert er in einem Band aus der Bibliothek des Ferienhauses: „Der Fragebogen“ von Ernst von Salomon.

Echte Pausen? Fehlanzeige. Auf dem Eßtisch im für den Dreh nicht genutzten Wohnzimmer stapeln sich Schminkutensilien, eine Bäckertüte mit Laugenbrötchen, ein Nutellaglas, die Tagesdispo, Gut&Günstig-Sprudelflaschen, angebissene Kuchenstücke, der Stift für die Klappe.

Vor Ort ist auch ein Zehntklässler aus Neubulach, Tobi, der mit Unterstützung seiner Eltern drei Tage schulfrei bekommen hat, um beim Dreh dabei zu sein. Er hat schon eigene filmische Erfahrung gesammelt: YouTube-Videos gemacht, einen Imagefilm für seine Schule, und er möchte „beim Film“ arbeiten, später einmal. Er sieht, wo’s fehlt, schleppt, holt, hält, hilft hochmotiviert, und lobt die „humorvolle Truppe“. Und er kann was lernen – von Marc Weckenmann zum Beispiel, zuständig für Kamera, Licht, Technik. Wekenmann kam vor fünf Jahren als Statist zu den Mania Pictures-Filmen, heute ist er ausgebildeter Medientechniker.

Warum macht Armin Schnürle dieses irrsinig zeitaufwändige Hobby nicht zum Beruf? Im „richtigen“ Leben ist Schnürle Berater bei der Sparkasse Pforzheim-Calw und er liebt die Mischung aus beidem: „solides“ Bankerdasein und kreatives Filmemachen. Ach ja, Vater ist er auch. „Meine Kinder?“, fragt er. „Ob die mich gerne mehr sehen würden? Die kennen mich ja nicht anders, nicht ohne das Filmen.“Sabine Besenfelder

www.mania-pictures.de

Mit kritischem Blick beim Dreh: Ohne Armin Schnürle (Mitte) geht gar nichts bei Mania Pictures. Bilder: Raphael Weckauff

Mit kritischem Blick beim Dreh: Ohne Armin Schnürle (Mitte) geht gar nichts bei Mania Pictures. Bilder: Raphael Weckauff