Finsterworld

Finsterworld

Satirische Annäherung an Deutschland, hinter dessen perfekter Fassade sich Abgründe an Niedertracht und Bosheit auftun.

14.10.2013

Von Klaus-Peter Eichele

Hey Spastos, ready for the KZ-Besuch?? Mit diesem Spruch startet ein Trupp deutscher Schüler zur Klassenfahrt in die Gedenkstätte. Tapfer bemüht sich der Lehrer (Christoph Bach), die spätpubertierende Horde für die Nazi-Vergangenheit zu sensibilisieren, doch vergeblich: Am Ende wird eine Schülerin („Feuchtgebiete?-Star Carla Juri) zur Gaudi zweier auf Provokation gebürsteter Schnösel („Haben nicht die Engländer das KZ erfunden??) in einen der Verbrennungsöfen gesperrt.

Die gruselige Szene stammt aus dem Film „Finsterworld? der Regisseurin Frauke Finsterwalder, die zuvor wenig beachtete Dokumentarfilme gemacht hat. Umso mehr schillert der Name ihres Ehemanns, mit dem sie zusammen das Drehbuch geschrieben hat: Christian Kracht.

Das irritiert insofern, als dass Roman-Autor Kracht („Faserland?, „Imperium?) bislang als Verächter alles politisch Korrekten gegolten hat und auch schon in Verdacht geraten ist, ein Salon-Faschist zu sein. Und nun erscheint auf einmal ein Gutmensch mit sozialdemokratischer Bartkrause als Lichtgestalt und der Dandy mit Herrenmensch-Habitus als Inbegriff des Verwerflichen.

„Ihr Eindruck von Kracht ist nicht der, den ich als seine Ehefrau von ihm habe?, kontert Finsterwalder, die den Film am Donnerstag im gut gefüllten Kino Arsenal vorgestellt hat, im Interview. Außerdem sei das Drehbuch komplett im Teamwork entstanden und insofern Unterschiede zu Krachts Solo-Arbeiten nur natürlich. Die KZ-Geschichte ist eine von fünf Episoden, die der Film in „Short Cuts?-Manier miteinander verknüpft.

In den anderen schwadroniert ein gut situiertes Ehepaar vergnügt über die Hässlichkeit des Landes. Ein sanftmütiger Fußpfleger verzückt eine Greisin im Altersheim mit seinen sanften Händen. Ein Polizist ist nur in der Subkultur der Furrys (Menschen, die sich als Tiere verkleiden) glücklich, während seine Freundin, eine Dokumentarfilmerin, damit hadert, dass sie nur Belangloses vor die Linse kriegt. Schließlich haust ein Öko-Einsiedler mit einem Raben als Gefährten allein im Wald. Alle (glänzend gespielten) Geschichten beginnen harmlos, zuweilen heiter, ehe die Protagonisten im zweiten Teil auf einen Abgrund zusteuern, der einige von ihnen verschlingt.

Die Figuren, erzählt die Regisseurin, entspringen größtenteils eigenen Begegnungen und Beobachtungen ? allerdings unter speziellen Bedingungen: „Wenn man, wie Kracht und ich, die meiste Zeit im Ausland lebt, nimmt man vieles anders wahr.? Vielleicht liegt es an diesem „Blick von außen aus dem Innersten? (Finsterwalder), dass die mal schmerzhaft lebensnahen, mal parodistisch überspitzten Miniaturen ins Schwarze treffen. Das Beziehungs-Scharmützel zwischen Polizist (Ronald Zehrfeld) und Filmerin (Sandra Hüller) am Küchentisch ist Alltags-Satire, wie man sie nicht oft im Kino geboten kriegt.

Aber ergibt sich aus diesen fünf kleinen auch eine große, übergreifende Erzählung? Nach Meinung der meisten Kritiker schon: „Finsterworld? sei eine Analyse deutscher Befindlichkeit, womöglich eine „Hasserklärung an Deutschland? ? so der Tenor. Finsterwalder sieht das anders: „Ich hatte nicht vor, einen sozialkritischen Film zu machen, sondern einen über zwischenmenschliche Beziehungen?. Was die Figuren verbindet, sei ihre Einsamkeit, die Angst vor Nähe und die Scheu vor Berührungen. „Das gibt es in allen modernen Gesellschaften? ? auch wenn es in Deutschland vielleicht besonders ausgeprägt sei.

„Allerdings?, sagt die Regisseurin, „wollte ich das ernste Thema mit Leichtigkeit angehen?. Davon zeugen der anfangs komödiantische Tonfall einiger Episoden, aber auch die sonnigen, manchmal fast idyllischen Bilder ? ehe das Unheil seinen Lauf nimmt. Vorbild war das (wiederum von „Short Cuts? inspirierte) große amerikanische Familien-Panorama „Happiness? von Todd Solondz. Wie „Finsterworld? werfe dieser Film „einen liebevollen Blick auf das Schreckliche?.

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