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Friedrich Bohnenberger baute das Gyroskop

„Die Sternwarte ist jetzt verwaist, weil Bohnenberger den Himmel selber bereist.“ Ein passender Nachruf auf den am 19. April 1831 verstorbenen Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger.

19.04.2017

Ein Modelldes Gyroskops von Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger aus der physikalischen Sammlung des Tübinger Keplergymnasiums. Archivbild: Metz

Ein Modelldes Gyroskops von Johann Gottlieb Friedrich Bohnenberger aus der physikalischen Sammlung des Tübinger Keplergymnasiums. Archivbild: Metz

Der flapsige Reim sagt mehr über das Weiterleben des Tübinger Mathematikprofessors aus, als man hätte damals ahnen können: Johann Bohnenberger begann als Pfarrvikar in der väterlichen Werkstatt mit dem Bau von geografischen Messinstrumenten. Nach einer Ausbildung in Astronomie an der Sternwarte in Gotha bekam er 1796 eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sternwarte Tübingen, 1803 wurde er ordentlicher Professor für Mathematik und bezog eine Wohnung auf Hohentübingen direkt unterhalb der Sternwarte im Nordostturm des Schlosses.

Die Entstehung des Königreichs Württemberg erwies sich für den passionierten Wissenschaftler als Glücksfall: Die Universität wurde jetzt aus der Staatskasse finanziert und musste sich nicht mehr aus ihrer eigenen Gütermasse unterhalten. Das kam dem Ausbau der experimentellen Fächer wie der Physik zugute: Bohnenberger konnte eine ganze Reihe neuer Geräte anschaffen.

1810 ließ er sich von seinem Mechaniker Johann Gottfried Buzengeiger ein hübsches kleines Objekt konstruieren, mit dem er seinen Studenten die Schlingerbewegungen der Erdachse demonstrieren wollte: „Eine Maschine zur Erläuterung der Gesetze der Umdrehung der Erde um ihre Achse und der Veränderung der Lage der letzteren“ überschrieb er die dazu verfertigte Anleitung. Das Modell ist etwa so groß wie eine Hand. Im Zentrum dreier Metallringe ist eine Elfenbeinkugel kardanisch aufgehängt, sodass sie sich frei um alle drei Achsen der Raumrichtung drehen kann. Die Achsen der beiden inneren Ringe sind rechtwinklig zueinander angeordnet und ineinander drehbar gelagert. Der äußere Ring ist fest auf einem kleinen Holzsockel befestigt. Wird die Kugel gedreht, so behält sie ihre Achse auch dann noch bei, wenn das Modell auf den Kopf gestellt wird, weil durch die kardanische Aufhängung kein Drehmoment auf sie wirkt.

Was hat das jetzt mit der Erde zu tun? Weil Mond und Sonne eine Massenanziehung auf sie ausüben, schlingert sie wie ein zur Seite geneigter Spielzeugkreisel, während sie sich um ihre eigene Achse dreht. Dabei behält die Achse der Erde ihre anfängliche Richtung bei – so wie die Kugel in Bohnenbergers Modell.

Außer einem didaktischen hatte die Maschine für Bohnenberger noch keinen Nutzen. Sie ist ein Paradebeispiel zweckfreier Forschung. Und machte eine erstaunliche Karriere.

Zunächst entwickelte der französische Physiker Léon Foucault (der mit dem Pendel!) 1852 das Lernspielzeug Bohnenbergers weiter und gab ihm den Namen Gyroskop. Heute ist die Welt voller Gyroskope. Im iPhone 4 ist zum Beispiel eins. Damit lässt sich die Drehung des Handys um alle Achsen des Koordinatensystems messen. Sollte sich je jemand gefragt haben, warum die Bildschirmanzeige vom Hoch- zum Querformat wechselt, wenn das Handy auf dem Tisch liegend gedreht wird – Bohnenberger hätte es erklären können!

Auch eine Wii-Konsole, die mit Hilfe eines Gyroskops die Bewegung eines Spielers im Raum misst, hätte Bohnenberger vermutlich amüsiert. Aber so richtig sinnvoll wurde die Entwicklung der „Maschine zur Erläuterung der Gesetze der Umdrehung der Erde“ zum Kreiselkompass für die Seefahrt und schließlich für die Navigation im allgemeinen. In einem Tunnel ohne GPS-Empfang kann das Navigationssystem eines Autos noch registrieren, ob das Auto seine Richtung geändert hat. Im Flugzeug zeigt ein mittels eines Gyroskops gesteuerter künstlicher Horizont, ob das Flugzeug im Verhältnis zur Erdoberfläche nach oben, unten oder zur Seite fliegt.

Seit 2004 drehen sich in einem Satelliten vier tennisballgroße Glaskugeln mit sehr hoher Geschwindigkeit. Das Experiment „Gravity Probe B“ überprüft die Aussagen Albert Einsteins zur Raumkrümmung und die Verzerrung der Raumkrümmung durch die Erdrotation. Damit ist es sehr dicht dran an Bohnenbergers Überlegungen zur Schlingerbewegung der Erdachse. Wenn er den Himmel tatsächlich bereist, wird er es sich sicherlich gerne anschauen.Andrea Bachmann

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Erstellt:
19.04.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec
zuletzt aktualisiert: 19.04.2017, 01:00 Uhr

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