Der Kommentar

Geschichtsstunde

15.11.2017

Von Phillip Schmidt

Ich gestehe: Ich bin geborener Badner. Ursprünglich kam ich zum Studieren nach Tübingen und habe mich lange gefragt, weshalb die schwäbischen Ureinwohner ständig über die vietnamesische Insel „Hanoi“ sprechen. Mittlerweile sage ich das manchmal selbst, wenn ich „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ meine. Aber ich muss aufpassen. Denn rutscht mir das in einer badischen Kneipe heraus, ernte ich abschätziges Kopfschütteln – mindestens. Insgesamt ist mir aufgefallen, dass der traditionelle, lokal-patriotische Zwist zwischen Badensern und Schwobaseggl in Baden viel ernster genommen wird. Und das hat einen historischen Grund.

Anders als auf Internetforen zu lesen ist, gründet der ursprüngliche Groll der Badner nicht auf einer Volksbefragung von 1950, sondern geht weiter zurück auf den sogenannten Heckerzug im Jahr 1848, der zum Ziel hatte, die Monarchie zu stürzen und eine Republik mit Volksvertretung zu errichten. Der Revolutionär Friedrich Hecker ist der badische Nationalheld. Die württembergischen Truppen, angeführt von Generalleutnant Moriz von Miller, standen damals an der Seite des Deutschen Bundes, also an der Seite des reaktionären Feindes. „Doch zu ihrem großen Ärger sah man dort die Würtemberger – Miller, dieser große Schwab, kam von einem Berg herab“, heißt es in einer Strophe des noch immer populären Heckerlieds, das wir Badner mit der Muttermilch aufsaugen.

Das ist also der Ursprung der Antipathie von Badnern und Schwaben, alle anderen Geschichten und Vorurteile bauen nachgerade auf diesem auf. Da die Niederschlagung eines Aufstands mit dem hehren Ziel der Gründung einer Republik schwerlich gutgeheißen werden kann, ist auch verständlich, weshalb eher Badner dieses Thema ansprechen und die Erinnerung daran wachhalten. Aber klar, wenn man jemanden lange geringschätzt und beleidigt, findet derjenige einen irgendwann auch doof. Aus genau diesem Reflex heraus mochten dann schlussendlich die Schwaben die Badner auch nicht mehr leiden.

Weil ich denke, dass es an der Zeit ist, die alt tradierten gegenseitigen Vorbehalte ein für allemal zu beenden, lebe ich nicht nur als Botschafter im Ländle, ich habe gar aus Volksverständigungsgründen eine Württembergin geehelicht und hoffe, dass unsere Halbblut-Kinder zur Vertiefung der diplomatischen Beziehungen beitragen.

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Erstellt:
15.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 05sec
zuletzt aktualisiert: 15.11.2017, 01:00 Uhr

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