Der Kommentar

Den Zauber im Kleinen bewahren

23.08.2017

Von Philipp Schmidt

Den Zauber im Kleinen bewahren

Ich erinnere mich gut an die alte Ausgabe von „Der Herr der Ringe“, die bereits in meiner Kindheit in vielen Regalen stand. Etwas Magisches ging von dem grünen Umschlag mit den düsteren, unheimlichen Zeichnungen darauf aus. Es schien mir, als handle es sich um mehr als nur ein einfaches Buch, ein Zauberbuch, von dem Macht ausgeht und über das man mit gesenkter Stimme spricht.

Ein Stück weit geht es mir heute noch so, wenn ich die alte Ausgabe mit dem Klauen bewährten Fuß über einem Auge auf dem Buchrücken sehe, von dem ich mittlerweile weiß, dass es das allsehende Auge des dunklen Herrschers Sauron darstellt. Sauron, Gandalf, Frodo und Co. sind Namen, die über 60 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Meisterwerks von John Ronald Reuel Tolkien zur Allgemeinbildung zählen und in Quizsendungen abgefragt werden.

Die heutigen Buchausgaben sind freundlicher gestaltet und entsprechen dadurch der stark erweiterten Zielgruppe. Sammelfiguren aus Überraschungseiern tummeln sich jetzt in den Regalen von Kinderzimmern. Nach der Blockbusterverfilmung von Peter Jackson ist ein verbreiteter Geheimtipp zum Massenphänomen geworden. Und mit der Kommerzialisierung, die auch nicht davor zurückgeschreckt hat, aus dem kurzweiligen Kinderbuch „Der Hobbit“ ein mehrstündiges CGI-Spektakel zu machen, ist der Zauber weitgehend verloren gegangen. Er ist nur im Kleinen zu bewahren, wenn wir unseren Kindern raten: Lest zuerst die Bücher, ehe ihr die Filme anschaut. Ja, den Herrn der Ringe kann man uneingeschränkt seinen Kindern und Jedermann empfehlen zu lesen, trotz gerechtfertigter Kritikpunkte, wie der Tatsache, dass es keine weibliche Hauptfigur gibt oder der Blutlinien-Philosophie. Denn was macht uns kritisch, wenn nicht das Lesen von Büchern, und genauso wichtig: das anschließende darüber Nachdenken und im besten Falle das Gelesene mit Freunden zu diskutieren?

Wenn ich rein als Schriftsteller über Tolkien und sein Werk resümiere, bleibt mir zuletzt nur, den Kopf vor einem der wirklich Großen zu neigen und ein Gefühl tiefer Dankbarkeit in der Brust. Ich wünschte, er wäre noch am Leben und könnte Gast auf den Tübinger Tolkien Tagen sein. Wahrscheinlich würde er bei den Vorträgen mit seiner Pfeife im Mund schmunzelnd in einer der hinteren Reihen sitzen, ehe er zu den geheimen Vorbereitungen zur Verfilmung des Silmarillions reiste und dort darauf acht gäbe, dass sich die Umsetzung möglichst nah an der Vorlage orientiert.

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Erstellt:
23.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 13sec
zuletzt aktualisiert: 23.08.2017, 01:00 Uhr

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