Ein dritter Weg ist nicht in Sicht

Im Krieg in Syrien kämpfen viele Stellvertreter

Seit fünf Jahren tobt ein Krieg in Syrien, den man nicht mehr Bürgerkrieg nennen kann.

12.10.2016

Orientalist und Bundeswehrberater Matthias Hofmann.

Orientalist und Bundeswehrberater Matthias Hofmann.

Die Londoner Wochenzeitung „New Statesman“ nannte den Syrienkrieg vor kurzem „Weltkrieg“, der Guardian kam beim Nachzählen auf 74 Staaten der Welt, die direkt beteiligt sind. Der Orientalist Matthias Hofmann aus Kirchentellinsfurt, der als Offizier der Bundeswehr zweimal für ein halbes Jahr in Afghanistan stationiert war, gibt eine Einschätzung.

Herr Hofmann, was meinen Sie zu der Nachricht, dass in Afghanistan noch nie so viele Frauen Burka getragen haben wie jetzt, drei Jahre nach Abzug der Koalitionsstreitkräfte?

Das ist eher Ausdruck einer patriarchalischen Gesellschaft als Einfluss der Religion. In Afghanistan gab es in den 60er-Jahren einen Aufbruch in die Moderne. Danach folgte seit 1979 ein langer Bürgerkrieg, der bis heute nicht beendet ist. Den fremden Einfluss hat man immer als Bedrohung empfunden. Die Nato hat versucht, in Afghanistan ein Bildungssystem auch für Frauen zu etablieren. Nach dem Abzug 2013 ist das Modell wieder gestoppt worden.

Das ist ein großer Unterschied zum Iran. Dort studieren mittlerweile viele Frauen islamisches Recht beziehungsweise Theologie. So können sie mit den Mullahs auf Augenhöhe argumentieren. In Afghanistan hat man noch nicht einmal die erste Stufe erreicht, das wäre ein allgemeines Bildungssystem gewesen. Die Nato ist ohne Konzept in das Land hineingegangen. Das Chaos, das wir hinterlassen haben, ist größer als das Chaos, das wir vorgefunden haben.

Vier Jahre nach dem „Arabischen Frühling“ ist von der Aufbruchsstimmung nichts mehr zu spüren. Alles scheint im Chaos geendet zu sein.

Das Problem ist, dass sich nach der Absetzung einiger Diktatoren eine Vielzahl von Parteien gegründet haben, die erst noch erkennen müssen, dass sich auch politische Vielfalt erst organisieren und man sich mit anderen politischen Parteien verbünden muss, bevor man nachhaltige politische Veränderungen herbeiführen kann.

Libyen etwa hat im Moment drei Regierungen, die gegeneinander kämpfen. Zudem ist das politische Verständnis in vielen arabischen Staaten ein grundlegend anderes als in Europa. Vielerorts treten nicht Parteien auf, sondern Einzelkandidaten, die sich dann als gewählte Parlamentarier im Parlament bei den verschiedenen Themenblöcken zu unterschiedlichen politischen Bündnissen zusammenschließen.

Andererseits können die neuen Regierungen auch nicht zaubern. Tunesien etwa lebt hauptsächlich vom Tourismus. Wenn aus Terrorangst keine oder nur noch wenige kommen, steigt die Arbeitslosigkeit. Das ist eine Spirale, die sich weiter nach unten dreht.

Ähnlich ist es in Ägypten. Die Muslimbruderschaft ist dort zu einer terroristischen Vereinigung deklariert und infolge dessen vom Staat ausgeschaltet worden. Jedoch hatte die Muslimbruderschaft in den Jahrzehnten zuvor auch immer in sozialen Angelegenheiten in Ägypten gewirkt, die nun weggefallen sind. Dadurch ist ein zweiter Putsch zu erwarten.

Welche Rolle spielt die fehlende Staatlichkeit?

Als Frankreich und England den Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg nach ihren Vorstellungen neu ordneten, waren Syrien und der Libanon die einzigen Staaten ohne Staatsreligion. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Syrien relativ gut funktioniert auf der Grundlage der Diktatur. Die Diktatur des Assad-Clans hat dort mittlerweile Familientradition. Die Informationen verdichten sich heute, dass der Westen den Arabischen Frühling dazu nutzen wollte, um Assad loszuwerden. Doch dadurch, dass sich mittlerweile viele Staaten ohne ein gemeinsames Konzept in den syrischen Bürgerkrieg eingemischt haben, ist die Situation jetzt so, wie sie ist. Nach vorsichtigen Schätzungen kämpfen heute in Syrien bis zu 1200 Rebellengruppen. Russland hat militärisch eingegriffen, als Assads Armee Gefahr gelaufen ist, sich selber aufzulösen. Wäre dies Ende 2015 passiert, wäre die Situation heute noch katastrophaler, da dann vor allem der IS an Boden gewonnen hätte.

Saudi-Arabien scheint der einzige stabile Staat im Nahen Osten zu sein. Wie meinen Sie?

Das scheint nur so. 60 Prozent der Saudis sind unter 25 Jahre alt, die wollen eine Öffnung nach westlichem Muster. Andererseits wird jeder Reformversuch damit beantwortet, dass der Zustrom zum IS aus Saudi-Arabien zunimmt. Es ist ziemlich zynisch, dass der Westen ausgerechnet auf Saudi-Arabien als Stabilitätsfaktor setzt. Man hat einen Saudi sogar in das Präsidium der UN-Menschenrechtskommission gewählt – einen Mann aus einem Land, in dem die Menschenrechte in der Verfassung ausdrücklich außer Kraft gesetzt sind. Ein Land, das zur Zeit den Jemen in die Steinzeit zurück bombt, ähnlich wie das Russland in Syrien versucht. Syrien ist im Moment entvölkert. Die Hälfte der Einwohner ist auf der Flucht. Sie machen Platz für Stellvertreterkriege.

Russland will seine Basis am Mittelmeer behalten und kämpft für Assad. China baut eine Marinepräsenz im Mittelmeer auf. Iran schickt die Hisbollah und kämpft gegen die von Saudi-Arabien unterstützen Rebellen. Die Türkei will ein mächtiges Syrien und einen Kurdenstaat verhindern und liefert den Saudis Panzer, die Deutschland nicht liefern wollte. Der Westen will Assad loswerden. Das sind nur einige Konfliktlinien. Die Aussichten sind scheußlich: Wenn die Rebellen gewinnen, werden nach jetzigen Ankündigungen der Rebellen Christen und Alawiten massakriert, gewinnt Assad, werden seine heutigen Gegner massakriert. Ein dritter Weg ist zurzeit nicht in Sicht.

Die Fragen stellte Fred Keicher

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Erstellt:
12.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 12.10.2016, 01:00 Uhr

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