Kommentar

Eine Chance für die Fasnet

22.02.2017

Von Andrea Bachmann

In meiner Kindheit bedeutete Fasching: auf Kindergeburtstage im Februar ging man verkleidet und am Faschingsdienstag backte meine Großmutter kleine Pfannkuchenbällchen, die Förtchen hießen. Das war’s. Nördlich der Elbe ist Fasching oder Karneval ein süddeutsches Exotikon, das früher für ein paar Tage im Jahr dafür sorgte, dass die Menschen verstärkt ins Kino gingen, weil es nichts Anständiges im Fernsehen gab. Über die alemannische Fasnet wusste man so viel oder so wenig wie über Hochzeitsbräuche unbekannter Andenvölker.

Deshalb war mir das gesamte närrische Treiben höchst suspekt und ich war froh, in Tübingen auf einer fasnetsfreien Insel der Seligen gelandet zu sein, auf der ich meine Vorurteile über sinnlose Besäufnisse und niveauloses Herumgehopse pflegen konnte.

Das ging so lange gut, bis auch in Tübingen ein Fasnetsumzug stattfand und meine Kinder in den Kindergarten gingen. Ich beschloss, gute Miene zum fremden Spiel zu machen, nähte meinen Töchtern prunkvolle Hexenkostüme und setzte mir selbst einen Hexenhut auf. Für eine Anstellung als Lehrerin auf Hogwarts hätte es gelangt.

Dann stand ich am Straßenrand und fühlte mich trotz Hexenhut ausgeschlossen und unbehaglich. Das war doch nicht meins! War das wirklich nicht meins? Oder war ich bloß mit meiner Rolle als Zaungast unzufrieden? Trotzig beschloss ich, den Fasnetsumzug in Tübingen grauenvoll und unpassend zu finden, was mir umso leichter gelang, als sich die Guggemusik jahrelang direkt unter meinem Arbeitszimmerfenster aufstellte.

In diesem Jahr hat man mich zum Mitlaufen eingeladen. Im Häs! Ich habe mich nicht getraut. Und jetzt habe ich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Vielleicht sollte ich der Fasnet doch noch eine Chance geben.

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Erstellt:
22.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 50sec
zuletzt aktualisiert: 22.02.2017, 01:00 Uhr

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