Fenster zur Welt

Interaktives Konzert mit dem Frauenchor Rottenburg

13.09.2017

Interaktives Konzert mit dem Frauenchor Rottenburg

Rottenburg. Evgeniia Wiest hat Musik und Pädagogik studiert. Jetzt leitet sie drei Chöre: den Liederkranz Hirschau, einen gemischten Projektchor für das Fest der Nationen und den Internationalen Frauenchor an der Volkshochschule Rottenburg. Etwa 20 Frauen aus der ganzen Welt treffen sich hier, um gemeinsam zu singen: deutsche Volkslieder, internationale Popsongs und Lieder aus den Heimatländern der Frauen.

TAGBLATT ANZEIGER: Wie ist der Internationale Frauenchor entstanden?

Evgeniia Wiest: Ich bin aus Russland und habe 2013 selbst einen Sprachkurs bei der VHS besucht. Da hatten wir die Idee, deutsche Lieder zu singen, weil die ein wichtiger Teil der deutschen Kultur sind. Mit „Wir wollen zu Land ausfahren“ und „Im Frühtau zu Berge“ fing es an. Die Frauen im Kurs hatten unterschiedliche Sprachniveaus und kamen aus unterschiedlichen Ländern, darunter auch welche, in denen Frauen gar nicht singen dürfen. Aber alle waren begeistert. Wir sind dann beim Fest der Nationen aufgetreten: Seitdem gibt es diesen Chor.

Immer noch mit denselben Frauen und Liedern?

Einige von ihnen sind immer noch dabei, aber die Besetzung und das Repertoire haben gewechselt: Mittlerweile singen auch deutsche Frauen bei uns mit und wir haben angefangen, Lieder aus aller Welt und in allen Sprachen zu singen. Aber der Chor ist immer noch an der Volkshochschule und das ist auch wichtig: Wenn man aus dem Ausland nach Rottenburg kommt, landet man immer zuerst bei der VHS. Da kriegt man dann mit, was es für Möglichkeiten gibt, etwas zu machen – die Frauen wären nicht von sich aus in einen deutschen Chor gegangen, weil sie gar nicht wissen, dass es so etwas gibt.

Wie kommen Sie zu Liedern?

Der Chor ist sozusagen der Ideenpool, aber letztendlich entscheide ich, was passt: Wir brauchen Lieder, die Frauen singen können, die noch nie gesungen haben und denen das völlig fremd ist – weil sie aus dem Iran oder Irak kommen zum Beispiel. Aber Frauen, die über Sing- und Chorerfahrung verfügen, sollen sich natürlich nicht langweilen. Der Text muss auch passen. Wenn ich die Lieder habe, bearbeite ich sie und mache zum Beispiel einen dreistimmigen Satz daraus. Für persische Lieder gibt es zum Beispiel keine Noten, die schreibe ich dann nach Gehör. In unserem Chor ist eine Syrerin. Deren Musiklehrerin hat uns aus Aleppo ein Lied per Whatsapp geschickt, das habe ich für den Chor bearbeitet. Jetzt haben wir keinen Kontakt mehr zu ihr und wissen nicht, was mit ihr passiert ist. Ich hoffe, ihr und ihrer Familie geht es gut.

Aber wir singen auch moderne Popsongs, von Rod Stewart oder Enya zum Beispiel.

Was ist das Besondere an diesem Chor?

Die Musik ist uns allen natürlich wichtig, aber genauso wichtig ist die Kommunikation. Wir reden viel miteinander und lernen viel über die unterschiedlichen Kulturen. Die ausländischen Frauen lernen Deutsch, weil wir Deutsch miteinander sprechen. Und die deutschen Frauen integrieren sich gut in die internationale Atmosphäre. Da gibt es keine Grüppchenbildung. Das gegenseitige Kennenlernen ist wirklich sehr schön und die Stimmung bei uns ist ziemlich locker. Man muss sich vorstellen: Wenn eine erwachsene Frau mit ihrem Mann und ihren Kindern in ein fremdes Land kommt, dann ist sie sehr isoliert und hat große Schwierigkeiten, jemanden kennen zu lernen. Da kann man sehr einsam sein! Die VHS ist da wahnsinnig wichtig, weil sie für viele Frauen zunächst das einzige Fenster zur Welt und die einzige Kontaktbörse ist.

Der Chor ist ein reiner Frauenchor. Könnten Sie sich vorstellen, daraus einen gemischten Chor zu machen?

Nein. Bei uns singen Frauen aus Ländern, in denen sie gar nichts mit fremden Männern machen dürfen – schon gar nicht singen. Die würden dann nicht mehr kommen und gerade denen möchten wir ja eine Möglichkeit bieten, zu singen und unter Leute zu kommen. Viele von unseren Sängerinnen, auch die Deutschen, fühlen sich einfach unter Frauen wohler. Außerdem wollen sie in erster Linie andere Frauen kennen lernen.

Am 16. September haben Sie Ihre nächste Aufführung.

Ja, da veranstalten wir ein interaktives Konzert: Zuerst werden wir ein paar Lieder vorstellen und dann gemeinsam mit unseren Zuhörerinnen und Zuhörern ein deutsches Volkslied dreistimmig singen. Alle Menschen möchten singen und wir wollen zeigen, wie gut das in einem Chor geht und wie schön es ist, dabei auf einer Bühne zu stehen. In der Pause servieren wir unseren Gästen internationales Fingerfood. Und im zweiten Teil werden wir gemeinsam Tänze aus Ungarn, Finnland und Persien tanzen.

Interview: Andrea Bachmann

Bild: Andrea Bachmann

Info: Das interaktive Konzert des Internationalen Chors findet am 16. September um 19 Uhr in der VHS Rottenburg in der Sprollstraße statt.

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Erstellt:
13.09.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 25sec
zuletzt aktualisiert: 13.09.2017, 01:00 Uhr

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