Wo die Landkarten noch weiß sind

Johann Ludwig Krapf stammt aus Derendingen

11.01.2017

Johann Ludwig Krapf stammt aus Derendingen

Warum tut sich jemand so etwas an? Warum verlässt ein Derendinger Bauernbub seine Heimat, reist dahin, wo die Landkarte noch weiße Flecken hat, riskiert Hunger, Krankheit, Einsamkeit, sein Leben und das seiner Liebsten? Abenteuerlust? Ehrgeiz? Verrücktheit? Irgendetwas muss es ja sein.

Es war eine wohlhabende Derendinger Bauernfamilie, in die Johann Ludwig Krapf am 11. Januar 1810 hineingeboren wird. Und obwohl die akademische Welt Tübingens nur geographisch nahe war, hat niemand etwas dagegen, als der bereits 13-Jährige auf Vermittlung einer Pfarrerswitwe die Lateinschule besucht. In Geschichte und Geographie lernt er, dass es eine Welt jenseits von Württemberg gibt. Eine Welt, die so unbekannt ist, dass auf einer Landkarte nur weiße Flecken zu sehen sind. Da möchte er hin.

Mit 15 Jahren liest er einen Aufsatz über die Basler Mission. Daraufhin wandert er mit seiner Schwester in die Schweiz, um sich zum Missionsdienst anzumelden. Abgesehen von einer adoleszenten Sinnkrise, in der er sich nach einem „Herzenchristentum“ in Stille und Verborgenheit sehnt, arbeitet er von da an auf diesen Moment hin: Am 5. Februar 1837 wird er das Basler Missionshaus, Tübingen und die Familie in Derendingen verlassen, um sich nach Afrika einzuschiffen. Er reist über Marseille, Malta und Kairo und kommt im Dezember in Äthiopien an. Auf interkulturelle Unterschiede hat ihn niemand vorbereitet: „Besonders peinlich ist es für den Europäer, wenn er sehen muss, wie die Orientalen ihre Zeit sozusagen totschlagen, da sie deren Wert gar nicht kennen. Sie begreifen nicht, warum ein Europäer immer in der Eile und in irgend einer Arbeit begriffen ist.“

Das Reisen ist beschwerlich. Es gibt oft nicht genug zu essen, dafür Ungeziefer im Überfluss, die Kameltransporte für die vielen Kisten voller Bibeln kosten Unsummen, man macht Bekanntschaft mit Hyänen und Elefanten, wird ausgenommen oder gleich ausgeraubt, bekommt eine Sklavin geschenkt, die man natürlich nicht annehmen darf und zankt sich im christlichen Äthiopien über die wahre Richtung des christlichen Glaubens. Fieber und Einsamkeit sind ständige Begleiter. Besonders angetan haben es Krapf die Oromo in Ostafrika, ein schönes, wildes, heidnisches Kriegervolk. Leider sind die Oromo ganz glücklich ohne Christentum und haben überhaupt keine Lust auf christliche Verhaltensvorschriften.

Am 22. September 1842 heiratet Krapf in Alexandria Rosine Dietrich aus Basel, die er nie zuvor gesehen hat. Aber die Briefe, die sie ihrem in der Mission verstorbenen Verlobten geschrieben hat, reichen ihm, um in ihr die ideale Gefährtin für sein Pilgerleben zu erkennen. Sie wird es tatsächlich sein, zwei Jahre lang. Die erste Tochter bringen sie ganz allein in einer Hütte an der afrikanischen Küste zur Welt, das Kind lebt nur wenige Stunden. Nach der Geburt der zweiten Tochter stirbt Rosine, das Mädchen überlebt die Mutter nur wenige Tage. Zeit zum Abschiednehmen ist nie, immer muss Krapf weiter, Bibeln verteilen, Gottesdienste mit europäischen Immigranten feiern, Sprachen lernen, sich neue Hütten und Häuser bauen. Das Ziel ist da, wo die Landkarten noch weiß sind. Schließlich baut Krapf eine Missionsstation in Mombasa, ein guter Stützpunkt zur Missionierung der Oromo. Er bekommt mit Johannes Rebmann einen Kollegen und ist zum ersten Mal seit Jahren irgendwo angekommen. Warum er das alles aushält?

Mit 44 Jahren, in einer Nacht auf einem Segelboot, gibt er die einzige ihm mögliche Antwort: “Als nach Mitternacht der Mond aufgegangen war, segelte ich die Bucht hinab nach Mombasa. Die Luft war kühl und alles war still um mich her, und mein Gemüt wurde zu hohen und seligen Betrachtungen gestimmt. Ich freute mich meines Berufes, und dass mir in diesen Tagen verliehen worden war, den Namen von Christus an Orten zu verkündigen, wo er noch nie genannt worden ist. Die unzähligen Stämme Afrikas lagen mir auf dem Herzen, und ich flehte zu Gott um ihre baldige Erlösung aus den Banden der Finsternis und des Todes.“

Er wird weiterreisen. Bis Mozambique wird er kommen, er wird weitere Sprachen lernen, als erster Europäer den Mount Kenya zu Gesicht bekommen und Schnee auf dem Kilimandjaro bestaunen. Und er wird dabei unzählige Bibeln verteilen. Andrea Bachmann

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Erstellt:
11.01.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 11.01.2017, 01:00 Uhr

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