Karten der Seele

Korbinian Brodmann hirnte über das Hirn

23.08.2017

Korbinian Brodmann fertige farbige Karten der menschlichen Großhirnrinde an.Bild: ©koya979 - stock.adobe.com

Korbinian Brodmann fertige farbige Karten der menschlichen Großhirnrinde an.Bild: ©koya979 - stock.adobe.com

Als Korbinian Brodmann am 22. August 1918 an den Folgen einer schlecht auskurierten Blutvergiftung stirbt, hat der 49-jährige Psychiater nur wenige Monate genießen dürfen, was für die meisten Menschen zu einem gelungenen Leben gehört: beruflicher Erfolg, Anerkennung der eigenen Leistung, eine glückliche Ehe, ein Kind. Die Jahrzehnte davor waren von einem unsteten Wissenschaftlerwanderleben und von unzähligen Stunden am Mikroskop geprägt. Jetzt ist Professor Korbinian Brodmann Leiter der topographisch-histologischen Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. Ein Jahr zuvor hatte er in Halle die MTA Margarete Franke geheiratet, im Januar 1918 war das Töchterchen Ilse zur Welt gekommen. Und jetzt muss er gehen.

Korbinian Brodmann ist in Liggersdorf aufgewachsen, ein kleines Dorf in der Nähe von Konstanz, am westlichen Rand des Oberlands. Die Eltern waren Bauern. Er geht zur Volksschule, zur Bürgerschule, aufs Gymnasium. Dann studiert er Medizin. 1895 arbeitet er an einer Kinderpoliklinik in München, von da aus geht es in eine Nervenklinik im Fichtelgebirge, anschließend nach Berlin, Leipzig, Jena, Frankfurt am Main. Dort lernt er Alois Alzheimer kennen und beschäftigt sich fortan mit neurowissenschaftlicher Grundlagenforschung. Er arbeitet neun Jahre in Berlin an einem privaten Forschungsinstitut, veröffentlicht sein wichtigstes Werk und schreibt seine Habilitation. Die wird von der Berliner Fakultät abgelehnt, zur gleichen Zeit hat er einen solchen Streit mit seinem Institutsleiter, dass er seinen Arbeitsplatz verliert.

Cortex unter dem

Mikroskop

Die nächste Station wird die Tübinger Klinik für Nerven- und Gemütskranke. Und hier passiert es: Korbinian Brodmann habilitiert sich, wird Assistenzarzt, Privatdozent, Oberarzt und 1913 schließlich Professor. Man könnte meinen, es hatte die schwäbische Universität gebraucht, um den schwäbischen Bauernjungen endlich ernstzunehmen.

Nachdem Korbinian Brodmann als psychiatrischer Arzt Menschen behandelt hatte, die ihre Sprache oder ihr Gedächtnis verloren hatten, die nicht mehr in der Lage waren, die einfachsten Handlungen auszuführen oder die Dinge beim Namen zu nennen, wollte er wissen, wo genau im Gehirn welche Fähigkeit sitzt. Dazu analysierte er jahrzehntelang systematisch die Gehirnrinde von Menschen, von Affen und von diversen anderen Säugetieren. Dazu legte er gefärbtes Gewebe aus verschiedenen Regionen des Cortex unter das Mikroskop und untersuchte deren Struktur. Jahrelang schaute er sich alle Ecken und Enden des menschlichen Cortex an. Dabei entdeckte er minimale Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Form und Anordnung von Nervenzellen: In einigen Regionen der Gehirnrinde waren bestimmte Schichten stärker ausgeprägt als andere und die Neuronen lagen dichter beieinander. Er stellte fest, dass diese Unterschiede benachbarte Regionen voneinander abgrenzten.

Grundlagen für die

ärztliche Ausbildung

Korbinian Brodmann nahm Bleistifte und Wasserfarben und begann, Karten der menschlichen Großhirnrinde anzufertigen. Er unterteilte die menschliche Großhirnrinde in etwas mehr als 40 Areale, die er einfach in der Reihenfolge, in der er sie gefunden hatte, durchnummerierte. Ihm war klar, dass diese unterschiedlichen Parzellierungen kein Zufall sein konnten und dass vermutlich jede Cortexregion bestimmte Aufgaben wahrnahm, aber er hatte noch keine Ahnung, wozu die einzelnen Areale dienten. Das weiß man heute. Die Hörrinde ist beispielsweise in den Brodmann-Arealen 41 und 42 zu finden, der primäre visuelle Cortex auf dem Brodmann-Areal 17. Die Cortexregionen werden noch heute Brodmann-Areale genannt und seine Karten sind zum festen Bestandteil jeder ärztlichen Ausbildung geworden.

Lazarett statt Tübinger

Rassenlehre

In Tübingen, wo Robert Gaupp Leiter der Nervenklinik ist, beschäftigt er sich hauptsächlich mit anthropologischen Fragen und vergleicht die Größe und Ausgestaltung des Gehirns und einzelner Cortexteile bei verschiedenen Rassen im Vergleich mit Tiergehirnen. Dann beginnt der Erste Weltkrieg und Brodmann arbeitet als Nervenarzt im Reservelazarett.

Deshalb konnte er sich nicht mehr um die von seinem Chef propagierte Rassenlehre kümmern. Was sicherlich kein Unglück war. Denn so bleibt Korbinian Brodmann der Nachwelt als „Kartograph der Landschaften der Seele“ erhalten. Ein ziemlich romantischer Titel. Andrea Bachmann

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Erstellt:
23.08.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 23.08.2017, 01:00 Uhr

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