Hungrig machen

Michael Winter über die Zukunft der Bäcker

Michael Winter, 52, ist Bäckermeister in Metzingen-Neuhausen. Wir sprachen mit dem Obermeister der Bäckerinnung Alb-Neckar-Fils über die modernen Trends in einem traditionellen Handwerk.

26.10.2016

Michael Winter über die Zukunft der Bäcker

Herr Winter, in allen Innenstädten das gleiche Bild: Filialketten, Handyshops und vor allem Bäckereien. Metzgereien werden weniger, Bäckerläden werden mehr. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück?

Es liegt am Bäckergastrokonzept. Da war der Leberkäswecken ja nur der Anfang. Den Leberkäse haben wir beim Metzger gekauft. Später dann auch die Wurst. Wir haben aber ein Salatblatt oder eine Tomate dazugelegt. Dazu kommen viele Kaffeesorten mit Spezialitäten wie Milchkaffee hell oder Milchkaffee dunkel. Man kann sich den Kaffee auch aromatisieren wie bei Starbucks. Das sind schon unsere Wachstumsmärkte. Man kann bei uns Schachspielen und Kaffeetrinken oder den Kaffee mitnehmen. Das entspricht dem modernen Lifestyle. Die Menschen sind mehr unterwegs und essen öfter außer Haus. Heute ist der Coffee to go absolut etabliert.

Wie hat das alles das Bäckerhandwerk verändert?

Das greift deutlich in den Bereich der Gastronomie hinüber. Daraus mache ich gar keinen Hehl. Der Bäcker, bei dem man nur sein Brot holt, gehört der Vergangenheit an. Er wurde erst abgelöst von der Epoche der Stehtische, die ein bisschen zum Verweilen einluden. Dann kam der To-go-Bäcker, der die Stehtische wieder hinausgeworfen hat. Jetzt haben wir Tische, an dem unsere Gäste Platz nehmen und vor Ort frühstücken können. In diesem Bereich haben wir mächtig experimentiert. Denn wir sehen speziell im Segment Frühstück unseren Wachstums- und Zukunftsmarkt.

Neben einem großen Angebot an Brotsorten fällt auf, dass viele süße Snacks angeboten werden. Das ist wie süßes Fast Food. Man hat den Verdacht, dass es immer süßer wird.

Dass die Lebensmittelindustrie ihre Produkte immer süßer macht, das ist ja bekannt. Dass der Bäcker seine Rezepturen ändert, ist aber nicht der Fall. Der beliebte Hefekranz zum Beispiel besteht aus ungefähr zwölf Prozent Fett und zwölf Prozent Zucker. Wenn man den Zuckeranteil erhöht, dann ergibt das ein ganz anderes Gebäck. Wir ändern unsere Rezepturen nicht wie die Industrie, da lege ich für meine Kollegen beide Hände ins Feuer. Wir wollen über Qualität Vertrauen beim Kunden verdienen. Der will ein lauteres Produkt. Das herzustellen ist die Kernkompetenz, die der Bäcker schon immer hatte.

Der Beruf hat sich ja geändert. Früher war es zeitenweise sehr eng, dass Brot rationiert werden musste. Es galt, hungrige Leute satt zu machen. Heute sind wir eine Überflussgesellschaft. Da gilt es, satte Leute wieder hungrig zu machen. Und nichts verkauft sich besser als das Produkt selber, wenn es optisch gut präsentiert wird. Ich weiß heute noch nicht, weshalb die Metzger keine belegten Brötchen mit Garnitur verkaufen. Das ist ein Lifestyle, den die Bäcker mitentwickelt haben.

Was ist das nächste große Ding, in welche Richtung geht es weiter?

Die Expansion ist an der Grenze, wir bedienen keinen Wachstumsmarkt mehr, wie die IT-Industrie. Wenn wir mit unseren Konzepten Fuß fassen, verdrängen wir irgendwo etwas, wie der Coffee-to-go das Frühstück zu Hause verdrängt hat. Vielleicht geht es stärker in Richtung Ethno-Food auf asiatisch. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir das schon lange hatten. Pizza war das erste Ethno-Food. Wir selber haben auch was zu bieten. Die schwäbische Dinnete ist typisches Ethno-Food und vor allem die Brezel. Die müssen wir besonders pflegen, sie ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Fressen in Ihrer Branche nicht die Großen die Kleinen?

Da gibt es die ganz Großen, K+U etwa mit 900 Filialen, ein Unternehmen von Edeka. Gewachsen sind die nicht am Markt, sondern durch Firmenaufkäufe. Die Großen kochen auch nur mit Wasser und ihre Töpfe sind manchmal sehr klein. Das Handwerk ist aber immer noch attraktiv. Die Zahl der Betriebe sinkt zwar, aber die Zahl der Beschäftigten ist konstant. Wir bemühen uns erfolgreich um Nachwuchs und haben ihn. Auch die Nachfolge in den Betrieben ist meistens gesichert, obwohl die Selbständigkeit und der ganze Mittelstand von Staat und Gesellschaft nicht mehr attraktiv gemacht wird. Aber Wehklagen gehört nicht zu meinem Handwerk.

Fragen von Fred Keicher

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Erstellt:
26.10.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 26.10.2016, 01:00 Uhr

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