Kommentar

Mit Herz und Hand

20.07.2016

Von Angelika Brieschke

Wo, wenn nicht hier?“, meinte SPD-Stadträtin Ingeborg Höhne-Mack zu der Frage, ob Tübingens Gemeinschaftsschulen eine eigene Oberstufe aufbauen sollten oder nicht. Tübingen hat mit drei Gemeinschaftsschulen mit einiger Wahrscheinlichkeit genügend Gemeinschaftsschüler, die nach Klasse 10 bis zum Abitur weitermachen können. Und die Gemeinschaftsschulen fürchten, ohne eigene Oberstufe nicht attraktiv genug zu sein für Kinder mit Gymnasialempfehlung. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite aber kann man auch fragen: „Wieso ausgerechnet hier?“ Dafür muss man sich nur ein andere Zahl nüchtern anschauen: In Tübingen gehen 70 Prozent aller Schüler/innen nach der Grundschule direkt auf ein Gymnasium. Tübingen hat nämlich ein äußerst vielfältiges Gymnasialangebot: Da gibt es bilingualen Unterricht in Englisch und in Französisch, Musikzug, Sportzug, Kunstzug, Schwerpunkte in Naturwissenschaft und Technik, Latein und Griechisch und und und. Und auch die Möglichkeit, das Abitur in neun statt in straffen acht Jahren zu machen, gibt es schon zur Genüge an den beruflichen Gymnasien und an Privatschulen. Warum sollte man da mit viel Aufwand und Energie die xte Möglichkeit schaffen, zum Abitur zu kommen? Energie und Elan, die woanders im Schulalltag fehlen. Denn es gibt noch keinen wirklichen Plan, wie eine Gemeinschaftsschul-Oberstufe überhaupt aussehen soll.

Jede Stadt muss für sich selbst entscheiden, wie sie zu einer Gemeinschaftsschul-Oberstufe steht. In Tübingen stellt sich angesichts der hohen Übergangsquote auf die Gymnasien aber die Frage: Wie viele Kinder eines Jahrgangs sollen denn eigentlich Abitur machen? Alle? Nur weil in Tübingen die Hauptschule abgeschafft ist und in wenigen Jahren auch die noch einzige Realschule, sind trotzdem nicht die Schüler/innen verschwunden, für die diese Schulen einmal gedacht waren. Die doch sehr leidenschaftlich geführte Oberstufen-Diskussion lässt einen irritiert vermuten, dass außer Abitur kein anderer Schulabschluss irgendwie was wert ist.

Als mein Sohn mir Ende der dritten(!) Klasse unvermutet verkündete, er wolle aufs Gymnasium, weil das schließlich die beste Schule sei, war ich einigermaßen konsterniert, wie er zu dieser Meinung kam. Es hat einiges gebraucht, bis ich ihm erklärt hatte, dass das vollkommener Blödsinn ist. „Gymnasium“, so startete ich meinen Erklärungsversuch für den Neunjährigen, „ist die beste Schule für jemanden, der gerne denkt, also für jemanden, der am liebsten mit dem Kopf arbeitet. Es ist aber überhaupt nicht die beste Schule für Kinder, die lieber was mit der Hand machen.“

Kümmern wir uns doch mal um die – und zwar mit Herz.

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Erstellt:
20.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 20.07.2016, 01:00 Uhr

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