Kommentar

Prokrastinieren auf hohem Niveau

13.07.2016

Von Katharina Mau

Katharina Mau weiß, wovon sie schreibt

Katharina Mau weiß, wovon sie schreibt

Es ist acht Uhr morgens in einer Studenten-WG. Alles ist still. Nicht etwa weil alle schlafen, sie brüten über ihren Schreibtischen. Gegen Mittag kommen zerknitterte Gestalten aus den Zimmern gekrochen, auf der Suche nach Nahrung. Es ist Klausuren-Phase: Ein Zeitraum im Leben von Studierenden, der sich in der Regel zweimal im Jahr über einige Wochen erstreckt. Er ist geprägt durch Lernen, Essen, Schlafen und Lernen – außerdem durch Lernen. Vor dem Einschlafen steht sehr genau fest, was der nächste Tag mit sich bringt. Bis in die Träume schleichen sich Fakten und Formeln.

Je nach Grad der Vertrautheit unter den Mitgliedern der WG kommt es gelegentlich zu Ausbrüchen kumulierter Verrücktheit. Über den Tag aufgestaute Energie entlädt sich in spontanen Tänzen in der Küche und Sprüngen durch Zimmer und Flure. Die Küche ist Dreh- und Angelpunkt dieser Tage. Dort treffen die Bewohner aufeinander, um ein Glas Wasser zu trinken, ohne Durst zu haben, einen Blick in den Kühlschrank zu werfen, ohne etwas herauszunehmen oder den sauberen Tisch abzuwischen. Das ist Prokrastination auf höchstem Niveau.

Rückt der Prüfungstermin gefährlich nahe, nimmt die Sauberkeit der Küche rapide ab. Zunächst stapelt sich das Kochgeschirr neben der Spüle, danach sammeln sich die Verpackungen von Tiefkühlpizzen. Der Döner vom Lieferservice treibt die Sache auf die Spitze.

Trifft man sich doch einmal mit Freunden, kommen Gespräche nur schleppend in Gang. Der Klausuren-Stoff vieler Studienfächer gibt keine fruchtbaren Themen ab. Die Frage „Was hast du heute so gemacht?“ ist genauso müßig wie: „Was hast du am Wochenende vor?“

Schließlich wünscht man sich die gefürchtete Klausur fast herbei, damit das Lernen ein Ende hat. Ist die letzte Klausur überstanden, wartet die große Freiheit. Die kann nach der ersten Euphorie ziemlich überfordernd sein. An eine souveräne Tagesgestaltung müssen sich die Studierenden erst wieder gewöhnen. Doch keine Sorge: Die nächste Klausuren-Phase kommt bestimmt.

(Prokrastinieren ist extremes Aufschieben einer Arbeit.)

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Erstellt:
13.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 00sec
zuletzt aktualisiert: 13.07.2016, 01:00 Uhr

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