Alltägliche Anarchie

Selbstgefährdung: Radelnde Raser lieben das Risiko

Die Zahl der Fahrradunfälle in Tübingen stagniert auf hohem Niveau. Fast zwei Drittel davon sind selbst-verschuldet.

22.11.2017

Der Ampelübergang bei der Neckarbrücke wird viel genutzt.

Der Ampelübergang bei der Neckarbrücke wird viel genutzt.

Tübingen. Der Fußgängerüberweg an der Neckarbrücke zwischen TAGBLATT und Bürger- und Verkehrsverein ist so eine Stelle. Sehr viele Fußgänger benutzen sie, alle Tü-Busse, ein paar Pkws und natürlich viele Radfahrer.

Geregelt wird der Fußgängerüberweg durch eine Ampel. Beachtet wird die von allen Bussen und Pkws, fast allen Fußgängern und immerhin von fast zwei Dritteln der Radfahrer.

Eine improvisierte, eigene Zählung vergangene Woche am Dienstag zwischen 11.30 Uhr und 12.30 hat dieses Bild ergeben. Dabei sind rotlicht-ignorierenden Radfahrer bergab in der Überzahl. Sie überholen die haltenden Busse und schaffen es, irgendwie durch die Fußgänger hindurch zu kommen. Bergauf halten mehr Radler bei Rot. Vielleicht, um nochmal Luft zu holen vor der Steigung oder die Nerven zu bündeln vor der Neckarbrücke.

Verschärft wird die Situation nach Schulschluss in den Gymnasien in der Uhlandstraße. Jetzt sind an der Kreuzung Pulks von Schülern unterwegs zu Fuß und auf dem Rad. Dabei sieht es so aus, dass die Radfahrer locker von Gehweg auf die Fahrbahn wechseln und von einer Fahrbahn auf die Gegenfahrbahn. Gefährden tun sich die Radfahrer dabei hauptsächlich selber. Selbst bei einem Rempler mit einem Fußgänger ist der Radler meistens der Schwächere. Ein Sturz vom Rad birgt eine hohe Verletzungsgefahr.

Die Zahl der Fahrradunfälle in Tübingen einschließlich der Teilorte steige seit 2014 stetig, sagt Josef Hönes, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen. 2014 waren es 128, 2015 zehn mehr, 2016 dann 148, dieses Jahr sind es einschließlich Oktober schon 130. Die Mehrheit dieser Unfalle, der Anteil schwankt um 60 Prozent, sei selbstverschuldet, sagt Hönes. Die Statistik sollte aber nicht überinterpretiert werden, setzt der Polizeisprecher hinzu. Sie erfasse gar nicht alle Unfälle, sondern wahrscheinlich nur die schweren. Solche, bei denen es Verletzte gegeben habe. Bei denen sei es wegen Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüchen notwendig, dass eine Unfallaufnahme durch die Polizei erfolge.

Ein anderes Detail in der Zeitreihe macht Hönes skeptisch. 2013 noch verzeichnet die Statistik für Tübingen 93 Fahrradunfälle, 2014 dann 128. In diesem Jahr haben auch die Polizeiposten angefangen Fahrradunfälle aufzunehmen. Vorher war dafür alleine die Verkehrspolizei zuständig. „Das ist wie bei den Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Je mehr Polizisten man darauf ansetzt, desto mehr Vergehen gibt es.“ Die ungemütliche Einsicht: Es gibt auch bei Fahrradunfällen eine hohe Dunkelziffer, die in der Statistik gar nicht auftaucht.

Als Unfallschwerpunkt ist der Überweg am südlichen Ende der Neckarbrücke bei der Stadt gar nicht bekannt, sagte Rathaus-Pressesprecherin Anja Degner-Baxmann. Bekannt werdende Unfallschwerpunkte würden sofort entschärft. Das war etwa der Fall an der Steinlachunterführung in Verlängerung der Karlstraße. Hier hätte eine dicke weiße Linie geholfen, die man um den Marmorpoller in der Mitte gezogen habe. Manchmal helfen einfache Maßnahmen.

Fred Keicher / Bild: Brieschke

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Erstellt:
22.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 22.11.2017, 01:00 Uhr

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