Königin der Nacht

Sheila Jordan ist mit vier Vocal-Ladies bei den Jazz- & Klassiktagen

Scatgesang, dargeboten von fünf preisgekrönten Vollblutsängerinnen: Darunter die amerikanische „First Lady of Bebop“, Sheila Jordan. Im Rahmen der Jazz- & Klassiktage werden die „Lines for Ladies“ das Publikum im Sparkassen Carré auf eine magische Reise in die Jazz-Vergangenheit entführen.

19.10.2016

Sheila Jordan ist mit vier Vocal-Ladies bei den Jazz- & Klassiktagen

Über Kulturgeschichte kann man lesen, oder man kann sie hören. Gelegenheit zu Letzterem bieten am 22. Oktober die Jazz & Klassiktage, die mit der betagten Jazzvokalistin Sheila Jordan ein Stück gelebte Musikgeschichte präsentiert.

Wenn verdiente ältere Damen zum Mikrofon greifen, ist das meist ein ganz besonderes Erlebnis. Das gilt vor allem dann, wenn die Protagonistinnen soviel Charme versprühen und noch so gut bei Stimme sind wie Sheila Jordan. Die fast 88-jährige Jazzsängerin ist noch immer ein wahres Bühnenwunder, das die alten Jazzklassiker verkörpert und, wenn nötig, sie auch für Jazz-Ignoranten erträglich, ja sogar spannend macht: „Ich habe den Kopf voller Melodien, Tag und Nacht und das seit über einem halben Jahrhundert“, sagt die am 18. November 1928 in Detroit, Michigan geborene Jazzlegende.

Weil sie immer nur sang, was sie gefühlt und erlebt hat, war Jordan als weiße Sängerin nie ein Kandidat für den großen Erfolg auf kommerziellen Bühnen. Doch die trompetenartige Phrasierung ihrer Stimme, mit der sie die Harmonien wie Morsezeichen ausstößt, gilt seit mehr als 60 Jahren als Geheimtipp für die Feinschmecker der internationalen Jazzgemeinde. Es ist ein mit humorvollen Geschichten gespickter Jazz, den die „Grand Old Lady“ präsentiert, mit wenig treibenden Rhythmen, aber mit viel Gefühl und Ausstrahlung. Und Sheila Jordans herausragende Fähigkeit, sich auf ihre Mitspieler einzustellen, brachte die Saxofon-Legende Charlie „Bird“ Parker einst dazu, ihr „a million dollar ears“ zu attestieren. Zweifellos repräsentiert Sheila Jordan die soziale und multikulturelle Geschichte des Jazz wie kaum eine andere.

Als Tochter eines armen Bergarbeiters aus Pennsylvania begann sie mit drei Jahren zu singen und trat schon als Kind öffentlich auf, um das Familieneinkommen aufzupeppen. Der Bebop auf den frühen Platten von Charlie Parker entfachten in dem jungen Mädchen ein Feuer, das bis heute glüht und an dem sie sich manches Mal verbrennen sollte. Denn der Jazz der 1940er-Jahre war eine Musik des Widerstands und der Suche nach kultureller Identität der Afroamerikaner. Weil sich die weiße Sheila Jordan aus Liebe zu dieser Musik über alle rassistischen und gesellschaftlichen Grenzen hinweg wiederholt mit der schwarzen Musikszene akustisch verbrüderte, wurde sie mehrfach auf offener Straße verprügelt und verhaftet. Die Musik wurde ihr dennoch zur Kraftquelle, zum Ankerplatz in einer feindlichen Welt und zum Herzensthema, das keinen Platz ließ für Kompromisse.

In den frühen 1960er Jahren entstanden ihre ersten Plattenaufnahmen, darunter „The Outer View“ von George Russell mit der berühmt gewordenen Version des Titels „You Are My Sunshine“. Erfolgreich waren auch ihr Blue-Note-Album „Portrait of Sheila“ mit Barry Galbraith, Steve Swallow und Denzil Best, auf dem sie ein Standard-Programm aus Titeln wie „I’m a Fool to Want You“, „Let’s Face the Music and Dance“ oder Bobby Timmons „Dat Dere“ interpretierte. Später trat sie häufig in Kirchen mit liturgischen Jazzgesängen auf, war in Gruppen des Posaunisten Roswell Rudd zu hören und – zum Teil an Alben im Duo mit Jeanne Lee und Carla Bley beteiligt.

Seit sie Anfang der 1950er-Jahre nach New York übersiedelte, hat sie ein Doppelleben geführt, das für so viele Jazzkarrieren exemplarisch ist. Weil die teure Stadt ein sicheres Einkommen forderte, jobbte sie tagsüber brav und bürgerlich und schlug sich dann die Nächte in den Jazzclubs um die Ohren. Sie lernte Jazz durchs Hören und stand als Autodidaktin mit den Legenden des Genres – von Thelonius Monk, Sonny Rollins, Charlie Parker, May Roach bis zu den modernen Stars wie Steve Swallow – auf der Bühne. Dass Sheila Jordan trotzdem nie in der ersten Reihe der Jazz-Vokalistinnen stand, hat sie bis heute nicht bedauert. Immer gab es in der hierarchischen Szene ein Heer von weitgehend anonymen Genies, die den Jazz als Lebenselixier brauchten und es ablehnten in der kommerziellen Schublade zu vertrocknen.

Sheila Jordan, „Grand Old Lady“ und „Königin der Nacht“, die in ihrem schwarz-weißen Musikerleben die Einsamkeit echter Individualität tönend umsetzt, wäre dazu auch viel zu kantig und lebendig gewesen. Jürgen Spieß / Archivbild: Spieß

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Erstellt:
19.10.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 19.10.2016, 01:00 Uhr

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