Der Kommentar

Über verbale Modekeulen

21.06.2017

Von Philipp Schmidt

In einer Studierendenstadt wie Tübingen wird naturgemäß viel debattiert. Neulich bei einer Diskussion – der Inhalt tut nichts zur Sache – zückte einer in der Runde, nennen wir ihn Hans, sein Smartphone, überprüfte den Diskussionsbeitrag von – nennen wir ihn Jens – und ruft laut aus: „Du wolltest uns Fake-News unterjubeln!“

Hans mit der digitalen Wissenshoheit hinter sich hat faktisch recht, Jens hatte etwas Falsches gesagt. Soweit, so gut. Was mich zum Nachdenken veranlasst hat, war der Vorwurf, Jens hätte durch seine falsche Ansicht Fake-News verbreitet. Den Rest des Gesprächs über verhielt Jens sich ruhig. Er war öffentlich gebrandmarkt, jemand, der log, jemand, der Fake-News verbreitete.

Ich möchte gar nicht darauf abheben, dass es eine Unsitte ist, bei Tisch sein Handy zu zücken, was jeder Diskussion die gesunde Spontanität und Lebendigkeit nimmt. (Ganz abgesehen davon, dass es dadurch keine Wetten mehr gibt.) Auch geht es mir nicht um eine genaue Definition des Begriffs „Fake-News“, der im vorgestellten Beispiel aus verschiedenen Gründen deplatziert ist. Vielmehr will ich für einen bedachtsamen Umgang mit diffamierenden Ausdrücken plädieren. Jens hatte keineswegs die Absicht, bewusst zu täuschen. Er hat sich schlicht geirrt – und wurde dafür nachhaltig stigmatisiert.

Im Grunde ist es ja ganz und gar nicht verkehrt, sensibel für Falschmeldungen zu sein. Ebenso wie es vernünftig ist, nicht auf absurde Theorien hereinzufallen. Es hat sogar eine gewisse Berechtigung, sich auch mal über Personen, die ständig mit dem moralischen Zeigefinger wedeln, lustig zu machen. Aber es scheint mir grundfalsch, jeden, der sich integer zeigt, als Gutmenschen zu verunglimpfen; jeden mit einer interessanten, nicht etablierten These gleich als Verschwörungstheoretiker zu titulieren und eben auch jeden, dem mal etwas Falsches herausrutscht, gleich einen Fake-News- oder alternativen Fakten-Verbreiter zu nennen. Diese Ausdrücke sind zu verbalen Keulen geworden, und oft macht der, der sie gebraucht, es sich nur besonders einfach.

Lieber neugierig bleiben, lieber auch mal das Unwahrscheinliche durchdenken, lieber zweimal hinschauen, ehe man ein Urteil über eine Person fällt und grundsätzlich: lieber wohlwollend miteinander sein.

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Erstellt:
21.06.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 04sec
zuletzt aktualisiert: 21.06.2017, 01:00 Uhr

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