Vater und Sohn klettern gemeinsam in der Tiroler Alpenwand

Die Laliderer Nordwand im Tiroler Karwendelgebirge, eine der wildesten und steilsten Alpenwände (800 Meter Wandhöhe), hatten sich David Greiner und Sohn Paul ausgesucht. Sie wählten die 2012 erstmals begangene Route „Magic Line“, die durch die glattesten Teile der Wand zur Lalidererspitze (2620 Meter ü.M) führt. Wegen ihrer Länge (26 Seillängen) und der anhaltend hohen Schwierigkeiten „verlangte die Tour den Kletterern alles ab“, sagt David Greiner. Die Unternehmung war ein Geburtstagsgeschenk von Paul an seinen Vater, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag gefeiert hat. Voran gegangen waren viele Monate intensiven Konditions- und Klettertrainings. Eigentlich wollten die Greiners die Tour schon im Juni machen, wenn die Tage länger sind und die Gewitterneigung geringer ist, aber das Wetter machte einen Strich durch die Rechnung – zu nass war die Wand, zu groß das Regenrisiko.

Erst Ende Juli fanden die beiden wieder einen gemeinsamen Termin, zu dem auch das Wetter mitspielte. Am Freitagfrüh brachen sie in Tübingen auf, stiegen nach der Anfahrt zunächst zu der unter der Wand gelegenen Falkenhütte auf und erkundeten am Nachmittag den Einstieg und die ersten Seillängen: „Weil die Hütte komplett ausgebucht war, verbrachten wir die Nacht im Zelt auf einer Kuhweide.“ Nach dem Zustieg über ein steiles Geröllfeld mit sandigen Rinnen stiegen sie um 5.30 Uhr mit Anbruch der Dämmerung in die Wand ein, auf dem Rücken kleine Rucksäcke mit Wasser, Vesper und Notausrüstung. Abgesehen von zwei kleineren „Verhauern“ in der Wegfindung, „die in einer solchen Wand fast obligatorisch sind“, wie der Vater sagt, kletterten sie die Route in einem Zug und in Wechselführung durch.

Um ein „geruhsames Steigen“ handelte es sich dabei nicht, auch gab es kaum Zeit zum Pausieren, denn um eine solche Tour in einem Tag zu bewältigen, muss ununterbrochen zügig geklettert werden. „Die Wand ist für ihre Brüchigkeit berüchtigt“, sagt David Greiner. Und auch die Magic Line ist davon nicht ganz ausgenommen. So brach Paul, nachdem er die wohl schwerste Einzelstelle in der feucht-glitschigen, fünften Seillänge onsight frei bewältigt hatte, noch kurz vor dem Stand ein Griff aus, wodurch der komplett freie Durchstieg („Rotpunkt“) der Wand dahin war.

Außerdem gab es die eine oder andere Schrecksekunde, wenn auf einmal ein fest geglaubter Griff oder Tritt wackelte, oder wenn den Kletterern von oben brummend oder pfeifend Steine um die Ohren sausten. Nach elf Stunden, gegen 16.30 Uhr, erreichten sie nach der Bewältigung der besonders steilen Gipfelwand mit zwei abschließenden 7er-Längen, „wo der Fels erstmals richtig fest ist“, das Gipfelplateau. Hier übernachteten sie in der gleich hinter dem Ausstieg befindlichen Biwakschachtel. „Diese Notunterkunft hat sechs Bettplätze, es übernachteten aber 13 Wanderer und Kletterer darin!“, erzählt David Greiner.

Der heiteren Stimmung der in der Biwakschachtel versammelten Bergsteiger tat die Überfüllung keinen Abbruch. Am Sonntag darauf war schon für den frühen Vormittag Regen angesagt, weshalb die Greiners für den Abstieg nicht den sonst üblichen Weg über die Abseilpiste in der (schwer zu findenden) Spindlerschlucht wählten, sondern „hintenrum“ nach Scharnitz wanderten und sich von dort zum Ausgangspunkt chauffieren ließen, dem Parkplatz am Ahornboden zu Beginn des Wegs zur Falkenhütte. itz