Flucht aus dem Dorf

Was passiert in Afrika, wenn die Jungen gehen?

Die Stuttgarter Stiftung Sabab Lou engagiert sich seit acht Jahren in der Entwicklungsarbeit. Sie hat zwei größere landwirtschaftliche Projekte in Gambia und in Nordost-Ghana und ein klassisches Mikrokredit-Projekt in der Ashanti-Region in Ghana initiiert.

27.07.2016

Von Fred Keicher

Was passiert in Afrika, wenn die Jungen gehen?

Die illegale Abwanderung Jugendlicher vor allem in den beiden ländlichen Projekten ist das beherrschende Thema seit vielen Jahren. Dazu hat der TAGBLATT ANZEIGER den Gründer und Vorstand der Stiftung, Frieder Keller-Bauer, befragt.

Frieder Keller-Bauer: Wir sind seit nunmehr über acht Jahren in der Entwicklungsarbeit tätig, und natürlich war die Emigration, die Abwanderung vor allem junger Menschen immer schon das beherrschende Thema. Wir gehen direkt in die Dörfer der Savanne und setzen mit den Dorfbewohnern Agrarprojekte um. Damit schaffen wir Arbeit, die es ihnen ermöglicht, Einkommen zu erwirtschaften und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Beispiele sind der Anbau von Gemüse in vier Dörfern in Gambia, einem der ärmsten Länder weltweit, oder die Produktion von Sojabohnen und Reis in fünf Dörfern im Nordosten Ghanas. Darüber hinaus unterstützen wir gezielt junge Menschen bei kleinen Geschäftsvorhaben. Seit wir das tun, ist die Abwanderung nachweislich zurückgegangen. Das beweist, dass wir am richtigen Hebel ansetzen.

Was verändert sich eigentlich in den Gesellschaften dort, wenn viele junge Männer weg sind?

Selbstverständlich hat der Abgang gerade der Jungen dramatische Auswirkungen auf die Dorfgemeinschaften. Ein Beispiel aus einem unserer gambischen Dörfer mit rund tausend Einwohnern: 2013 haben sich 50 junge Männer in der Altersgruppe zwischen 15 und 25 „backways“ davongemacht. So nennen sie die illegale Abwanderung über die Mittelroute, die über Niger und die Sahara nach Libyen führt. Das sind fünf Prozent aller Bewohner, aber noch sehr viel mehr in ihrer Altersgruppe. Wenn man nichts tut, bluten die Dörfer aus, sie verlieren ihre Jugend. Nachdem unsere Maßnahmen greifen, ist die Abwanderung auf unter ein Prozent zurückgegangen. Dennoch, der Sog nach Norden in die reichen Länder bleibt und erzeugt Illusionen, die bis in die hintersten Winkel der Savanne reichen.

Die jungen Männer gehen nach Westeuropa in die Städte? Die Programme gelten ja alle der Entwicklung des Dorfes?

Wie gesagt, dies ist eine katastrophale Entwicklung. Und leider muss man feststellen, dass die Entwicklungshilfe der großen internationalen und nationalen Organisationen die Armut in den Ländern südlich der Sahara nicht wirklich zurückdrängen konnte. Im Gegenteil, heute leben dort über 100 Millionen Menschen mehr unter der Armutsgrenze als noch 1990, dem Referenzjahr der Jahrtausendziele der UN. Alles in allem sprechen wir von über 400 Millionen extrem Armen, von insgesamt 900 Millionen Menschen in diesem Teil der Erde. Wir können mit unseren Projekten natürlich immer nur punktuell gegen die Armut im ländlichen Raum vorgehen. Aber wir würden uns wünschen, dass es viel mehr solcher Projekte gäbe.

Wo sollte Entwicklungsarbeit ansetzen, um dieses Jahrtausendproblem der Armut zu lösen?

Wir setzen unten an, an der Graswurzel, direkt in den Dörfern, da wo Armut entsteht. Die Arbeit dort in den ländlichen Gegenden Afrikas ist mühsam und langwierig. Es reicht nicht, einfach nur zu Geld zu geben in der Hoffnung, dass die Projekte sich irgendwann tragen. Auch viel Geld geben, heißt nicht, dass man viel bewirkt. Nationale und internationale Entwicklungspolitik der letzten Jahrzehnte haben die Armut in Afrika nicht wirklich zurückdrängen können. Wir arbeiten in kleinen Schritten von unten nach oben, bauen zusammen mit den Dörfern Organisationen auf, planen und realisieren Produktion, Lagerung, Verarbeitung und Verkauf.Und wir bleiben solange dabei, bis wir sehen, dass die Projekte sich tragen und die Dörfer damit Einkommen generieren können.Genau darum geht es uns: Entwicklungsarbeit, die dazu führt, dass die Menschen in ihren Heimatländern Arbeit haben und ihren Lebensunterhalt verdienen können. Dazu braucht es keine Unsummen, sondern vor allem ökonomischen Sachverstand und Vernunft.

Der größte Feind der Stiftungen ist im Moment die Europäische Zentralbank (EZB) und der Niedrigzins?

Richtig, mit der EZB und ihrer Niedrigzinspolitik lässt sich derzeit kein Blumentopf gewinnen. Aber uns hat das noch nie groß beeinflusst. Wir haben schon immer den Schwerpunkt auf die Einwerbung von Spenden gelegt. Unsere Projekte kann man vorzeigen, sie sind wirksam und nachhaltig. Damit können wir überzeugen. Es sind private Spender und Gönner, die uns mit diesem Ansatz unterstützen. Damit können wir leben.

Interview von Fred Keicher

Näheres im Internet

unter www.sabab-lou.de

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Erstellt:
27.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2016, 01:00 Uhr

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