Hype um die Wikinger

Wie Island bei der EM auch die Fans in Deutschland begeistert hat

Die Isländer sind raus: 2:5 im EM-Viertelfinale gegen Frankreich. Doch die 330 300-Einwohner-Insel hat in ganz Europa Sympathien gesammelt – auch in Tübingen.

06.07.2016

Wie Island bei der EM auch die Fans in Deutschland begeistert hat

Das isländische Nationaltrikot war in Deutschland schon weitestgehend vergriffen. Spätestens als die „Wikinger“ die Engländer mit 2:1 aus dem Turnier kegelten, hatten sie alle Sympathien für sich gewonnen. Und dem Mutterland des Fußballs eine große Schmach gebracht. Es war die wohl größte Sensation im internationalen Fußball der letzten Jahre. So ähnlich wie der sensationelle Gewinn der englischen Meisterschaft des Leicester FC. Gudmundur Benediktsson, der isländische TV-Kommentator, erlangte europaweit Berühmtheit. Alleine während des 2:1-Sieges über England hätten laut eines Reiseportals 71 000 Isländer nach Flügen nach Paris gesucht – also jeder fünfte Einwohner.

Der Staatschef im Block

Auch in Tübingen fieberten einige mit den Isländern. Andreas Siebert, 27-jähriger Student, konnte sich sogar noch ein Island-Trikot ergattern. Mit dem lief er am Sonntagabend durch Tübingen. „Das ist einfach ein sympathisches Volk“, sagte er. Wenn andere Nationen durch ihre Hooligans für Aufmerksamkeit sorgen, sind es die Isländer, die im Stadion ihre Mannschaft anfeuern – selbst, als sie gegen Frankreich im Viertelfinale bereits zur Halbzeit beim 0:4 aussichtslos zurücklag. Sogar Islands neu gewählter Staatschef Gudni Johannesson stand an seinem Hochzeitstag mit seiner Ehefrau samt Trikot im Fanblock – eine große Geste.

Die französische Regionalzeitung „L‘Union-L‘Ardennais“ brachte es nach dem Ausscheiden der Isländer auf den Punkt: „Isländische Fußballfans schlagen nie Schaufensterscheiben ein, massakrieren nicht die Fans des Gegners (...) Nicht nur, dass die Isländer freundlich und nett sind, sie sind auch Patrioten. Sie sind scharenweise in Airbussen angeflogen gekommen, um ihre Fußballspieler zu unterstützen. Dieses Bild ist eine gute Werbung für das Land (...) Die Franzosen bewundern die Isländer. Unsere Mannschaft war stärker. Doch was die Herzensseite der EM betrifft, hat Island gewonnen.“ Es sind Sätze, die erklären, warum die Isländer bei dieser Europameisterschaft so gut angekommen sind.

Auch bei den Deutschen. Vielleicht ja auch, weil die Isländer bereits in der Qualifikation stark aufspielten und die Holländer rausgekegelten. Siebert jedenfalls antwortete auf die Frage, für wen er den bei einem Halbfinale zwischen Deutschland und Island sein würde, mit: „Schon für Deutschland, aber ich glaube, dass es nie leichter gefallen wäre, eine Niederlage zu verdauen.“ Um ein Spiel gegen Island kommen die Deutschen ja nun herum.

Die Jugend beeindrucken

Die Isländer selbst nahmen ihr Aus mit Humor: „Vielleicht wäre es ein bisschen zu viel gewesen, die EM gleich im ersten Versuch zu gewinnen“, sagte Islands Torjäger Kolbein Sigthorsson. Und dennoch schritten sie vor ihre Fans, hoben nochmals die Hände und klatschten mit den Zuschauern im Rhythmus. Mittlerweile ist dieses „Huh“ bekannt. Generell versuchen die Isländer, bisher vor allem im Handball stark, aus ihrer Leistung Vorteile zu ziehen. „Die junge Generation sieht, dass es egal ist, wenn man aus einem kleinen Land kommt. Wenn man hart genug arbeitet und es genug will, dann kann man unglaubliche Dinge tun“, sagte Illugi Gunnarsson, der Sportminister des Landes. Viele Nationalspieler kickten in kleinen Ligen in Skandinavien, der bärtige Kapitän Aron Gunnarsson war beim britischen Zweitligisten Cardiff City noch nicht einmal unumstrittener Stammspieler – jetzt kennt ihn ganz Europa.

Generell hat dieses Land auch hierzulande in den sozialen Netzwerken und in der öffentlichen Präsenz einen großen Teil der EM-Berichterstattung auf sich gezogen. In Apps konnte Jedermann seine Namen eingeben – und herausfinden, wie denn die isländische Version davon lauten würde. Island hat einen regelrechten Hype erfahren, viele Deutschen haben das Land der Elfen und Vulkane plötzlich auch als Urlaubsziel auf dem Schirm. Auch Siebert: „Klar, jetzt will ich da auch hin und mir das mal anschauen.“ Er plane schon.

Die Isländer wollen nun die Euphorie nutzen. Mittlerweile haben sie im Land professionelle Trainer engagiert, der Fußball spielt eine immer gewichtigere Rolle. Doch um bei der WM 2018 in Russland dabei zu sein, müssen die Isländer in der Qualifikation einige dicke Brocken aus dem Weg räumen. In Gruppe I spielen mit Kroatien, der Ukraine und der Türkei gleich drei weitere EM-Teilnehmer. Dazu kommen Finnland und Kosovo, welches erstmals an einer Qualifikation für eine EM oder WM teilnimmt. Sicherlich wird der ein oder andere TV-Sender mit dem Gedanken spielen, mal ein Spiel der Isländer in die deutschen Wohnzimmer zu bringen.

Wahrscheinlich hat Siebert die Tübinger Kneipe, in der er das Spiel gestern schauen wollte, enttäuscht verlassen. Dennoch bleibt nach dieser EM eigentlich nur eines festzuhalten: Liebe Isländer, vielen Dank für Alles! Moritz Hagemann

Die Fans auf den Tribünen sorgten für Begeisterung.

Die Fans auf den Tribünen sorgten für Begeisterung.

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Erstellt:
06.07.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 06.07.2016, 01:00 Uhr

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