Die Burg zum Buch

Wilhelm Hauff war ein fantasievoller Erzähler

Ein verträumter Dachstubenpoet war er nicht gerade: Wilhelm Hauff, der am 29. November 1802 in Stuttgart zur Welt kam und schon am 18. November 1827, eine Woche nach der Geburt seiner Tochter, an einem „Nervenfieber“ starb, war ein Trendscout, ein Marketinggenie, ein unglaublich fantasievoller und talentierter Erzähler und ein ausgesprochen belesener junger Mann.

30.11.2016

1826 legte Wilhelm Hauff mit dem „Lichtenstein“ einen großen historischen Roman vor. Archivbild: Bachmann

1826 legte Wilhelm Hauff mit dem „Lichtenstein“ einen großen historischen Roman vor. Archivbild: Bachmann

„Die Tage werden gewogen, nicht gezählt“, hatte Wilhelm Hauff schon mit 13 Jahren einem Freund ins Poesiealbum geschrieben. Und tatsächlich beeindruckt dieses kurze Leben durch eine Schwindel erregende Intensität.

Als kleiner Junge liest er sich durch die Bibliothek seines Großvaters in der Tübinger Haaggasse, wohin die Mutter mit ihren beiden Söhnen Hermann und Wilhelm nach dem frühen Tod des Vaters zurückgekehrt war und brilliert bereits als Geschichtenerzähler.

1820 beginnt er ein Theologiestudium am Evangelischen Stift, weniger aus Neigung denn aus finanziellen Erwägungen: die Pfarrerausbildung gab es auf Staatskosten. Er wird Ehrenmitglied bei der Burschenschaft Germania, er engagiert sich in diversen politischen Zirkeln, er verliebt sich in seine Cousine Luise, er geht aus, er feiert, er liest, er lernt. Er ist gerne elegant und an Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht.

Für sein Debüt in der Literaturszene plant er einen Skandal: Er veröffentlicht zeitgleich eine Novelle mit dem verkaufsfördernden Titel „Mitteilungen aus den Memoiren des Satan“ und den Roman „Der Mann im Mond“. Letzteren unter dem Pseudonym H. Clauren, das auch der Bestsellerautor Carl Heun verwendete. Der war wenig amüsiert, verklagte Hauffs Verleger Franck auf Schadenersatz wegen „Fälschung aus merkantilen Beweggründen“ und verschaffte Wilhelm Hauff damit die gewünschte Publicity.

Im April 1826 verlässt Wilhelm Hauff die Familie des Freiherrn von Hügel, bei der er als Hauslehrer gearbeitet hat – was ihm die Gelegenheit zu intensiven Milieustudien in Adelskreisen verschafft hatte – ackert sich durch mehrere Romane des schottischen Erfolgsautoren Sir Walter Scott und legt nach einer gründlichen Strukturanalyse mit dem „Lichtenstein“ ebenfalls einen großen historischen Roman vor. Dem Zufall überlässt er nichts. Hauff möchte seine Leser und Leserinnen verzaubern und verführen – aber er mutet ihnen auch zu, den Text, den Autor und sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. So wie im Märchen ist in der Literatur alles erlaubt.

In etwas mehr als drei Jahren schreibt Hauff unzählige Gedichte, Romane, Novellen, Märchen und Erzählungen. Dabei spielt er virtuos mit literarischen Genres, jongliert Stoffe und Formen, ist gleichzeitig einfach und komplex, intellektuell und naiv, er rührt und amüsiert, parodiert und zitiert, assoziiert und ironisiert: seine Texte sind Kaleidoskope grenzenloser Fantasie. Für ihn war das Mittelalter kein finsteres Zeitalter, sondern eine glanzvolle Epoche und der drögen Freudlosigkeit schwäbisch-pietistischer Vernunft setzt er die schillernde Farbigkeit eines erträumten und deshalb umso traumhafteren Orients entgegen. Er schreibt für ein Publikum, das historische Romane und Märchen liebt, das sich für Burgen und Ruinen begeistert, das sich über Exotisches und Romantisches freut.

Hauff reist durch Frankreich, Belgien und Deutschland, erlebt amouröse und geschäftliche Beziehungen und Affären, wird schließlich Chefredakteur des angesehenen „Morgenblatts für gebildete Stände“ von Johann Friedrich Cotta, heiratet seine Luise und recherchiert für einen großen Roman über den Südtiroler Helden Andreas Hofer. Dann stirbt er: „Ein braves Weib, die schönsten Aussichten und alles dies vorbei.“

Sein Erfolgsrezept ist indes aufgegangen: die Märchen sind nach wie vor lesens- und seit einigen Jahren vor allem hörenswerte Kabinettstückchen romantischer Literatur. „Das kalte Herz“ war nicht nur der erste DDR-Farbfilm, sondern ist in bester Besetzung neu im Kino zu sehen. Und augenfälliger als mit dem Lichtenstein - der Burg zum Buch sozusagen - kann man kaum noch zeigen, wie man mit Literatur die Realität verändern kann. Da ist es eigentlich egal, dass ihn die ernsthafte Literaturwissenschaft nie ernst genommen hat, weil ein ernsthafter Schriftsteller nicht solchen Erfolg haben darf. Andrea Bachmann

Zum Artikel

Erstellt:
30.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 30.11.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen