Aus der Luft und zu Fuß (19)

Dettenhausen

15 Quadratmeter misst die Grundfläche des Häuschens, in dem zuletzt Kathree Oßwald bis 1951 gewohnt hat. 1839 wurde es gebaut, nicht als niedliche Puppenstube, sondern tatsächlich als ein Heim für eine ganze Familie.

28.02.2018

Von Andrea Bachmann

Bilder: Erich Sommer

Bilder: Erich Sommer

Dettenhausen war ein im wahrsten Sinne bettelarmes Dorf, auch wenn die Oberamtsbeschreibung von 1867 das reine Idyll heraufbeschwört: „Die klare, durch den untern Teil des Dorfes fließende, mit schönen Uferbäumen und frischen Wiesengründen umsäumte Schaich und die nahen Wälder geben mit dem Dorfe zusammen ein Bild angenehmer Abgeschiedenheit.“ Aber 1754 beschloss der Dettenhäuser Kirchenkonvent, Eltern mit Arrest oder Bußgeld zu bestrafen, die ihre Kinder zum Betteln schickten. Mitte des 19. Jahrhunderts konnten gerade einmal zwanzig Familien vom Ertrag ihrer Güter leben, die anderen arbeiteten im Taglohn: im Wald, in der Landwirtschaft, vor allem aber in den Steinbrüchen, in denen der Dettenhäuser Stubensandstein gefördert wurde. Der fand natürlich im Baugewerbe Verwendung, vor allem aber wurde er für die Herstellung von Mühlsteinen geschätzt, die bis in die Schweiz exportiert wurden. Das „Vaterland der Mühlsteine“ soll Dettenhausen vor etwa 200 Jahren gewesen sein.

Den Dettenhäusern brachte das nicht allzu viel ein. 1847 mussten etwa 70 Familien durch wöchentliche Brotausteilungen vor dem Hungertod gerettet werden und die Gemeinde bot all denen finanzielle Unterstützung, die sich auf den Weg nach Amerika und den Kaukasus machten. 1833 starben 37 von insgesamt 1000 Gemeindegliedern, darunter waren 25 Kinder unter zehn Jahren, die den Masern, der Mangelernährung oder „Gichtern“ (krampfartigen Brechdurchfällen) erlagen.

Trotzdem beschloss man zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Neubau einer Kirche an Stelle einer zu klein gewordenen Kapelle. 1833 wurde sie gebaut. Architekt war Ludwig Friedrich Gaab, der württembergische Hofkammerbaumeister, der im selben Jahr auch die Kirche in Pfrondorf in Angriff nahm. Daneben entstand noch ein repräsentatives Pfarrhaus. 2000 Gulden ließ man sich den Kirchenbau kosten, außerdem musste noch ein Kredit von 4000 Gulden aufgenommen werden. Für einen Gulden konnte man übrigens 40 Pfund Schwarzbrot kaufen. Immerhin wurde die Kirche von der Bevölkerung gut angenommen, auch wenn die Oberamtsbeschreibung dem hellen, freundlichen Raum „keine kirchliche Stimmung“ zubilligen konnte und eine der beiden Glocken ausgerechnet am Todestag seiner Majestät König Wilhelms zersprungen sein soll. Dennoch wird berichtet: „Die Einwohner, ein im Ganzen gesunder Menschenschlag (gegenwärtig leben drei Achtzigjährige im Ort) sind aufgeweckt, freundlich, fleißig und sparsam und gehen gern zur Kirche; in Betreff ihres Ordnungs- und Reinlichkeitssinnes bleibt hingegen manches zu wünschen.“

Diese Zeiten sind glücklicherweise längst vorbei. Das Kathreehäusle ist heute eine Dependance des Schönbuchmuseums, das über die Dettenhäuser Steinbrüche, die Jagd und den Wald informiert. Die 5400 Dettenhäuser leben immer noch in angenehmer Abgeschiedenheit, aber gut angebunden an die umliegenden Städte Tübingen, Böblingen und Stuttgart und in der Polizeistation in der Störrenstraße muss niemand mehr befürchten, wegen Bettel ins Loch gesteckt zu werden: Der Polizeiposten beherbergt das einzige Museum für Polizeiuniformen in Deutschland. Polizeihauptmeister Bernhard Strobel trägt seit 1978 Uniformen und Kopfbedeckungen aus aller Herren Ländern zusammen. Sogar ein Dienstfahrrad und ein Motorrad bereichern die Sammlung, zu der jede Menge Fotos und Accessoires wie Haltestäbe oder Stoppuhren gehören, mit denn in den 1970er-Jahren Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt wurden. Ältestes Stück der Sammlung ist der Rock des Königlich-Württembergischen Landjägers Wilhelm Breining von 1893. Andrea Bachmann / Bild: Erich Sommer