Aus der Luft und zu Fuß (50)

Pfrondorf

17.10.2018

Von Andrea Bachmann /Bilder: Erich Sommer

Pfrondorf

Hier gefiel es schon den Römern. In Pfrondorf lassen sich deutliche Spuren eines römischen Gutshofes nachweisen und im Wald wurden zwei Brennöfen aus der Römerzeit gefunden. Im 7. Jahrhundert entstand dann vermutlich der Ort Pfrondorf, der 1148 zum ersten Mal erwähnt wird und von den Tübinger Pfalzgrafen als Lehen vergeben wurde.

Denen ging es Ende des 13. Jahrhunderts wirtschaftlich immer schlechter und deshalb kaufte das Kloster Bebenhausen im 14. Jahrhundert fast den ganzen Grundbesitz im Ort auf. Erst nach der napoleonischen Herrschaft wurde die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben. 1821 erwarb die Gemeinde die ehemaligen Klostergüter und verkaufte Gebäude und Felder größtenteils an die Bürger.

Mit dem Erlös konnte die evangelische Kirche gebaut werden. Pläne dafür gab es seit 1819, als die Pfrondorfer den König in einem Brief um Erlaubnis baten, ein eigenes Gotteshaus bauen zu dürfen. 1831 war es endlich so weit und am 1. Advent 1833 konnte die Pfrondorfer Kirche eingeweiht werden. Seitdem müssen die Pfrondorfer nicht mehr nach Lustnau in den Gottesdienst pilgern – und anschließend wieder den Hügel hinauf.

Von 1842 bis 1857 predigte in der Pfrondorfer Kirche der Pfarrer Hermann Reuchlin. Der war der Urgroßneffe des berühmten Humanisten und Juristen Johannes Reuchlin. Er hatte nach seinem Theologiestudium in Hamburg miterlebt, wie Johann Hinrich Wichern das „Rauhe Haus“, eine Einrichtung für verwahrloste Jugendliche, gegründet hatte. Anschließend arbeitete er als Hauslehrer in der Familie eines berühmten Pariser Architekten und verbrachte zwei Jahre zu Studienzwecken in Italien, bevor er endlich nach Württemberg zurückkehrte und Pfarrer wurde – bis es ihn selbst im schönen Pfrondorf nicht mehr hielt und er als Privatgelehrter durch Italien reiste und am Ende seines Lebens eine vierbändige „Geschichte Italiens“ herausgab.

Jahre vor der Gründung des Rauhen Hauses eröffnete ein Professor Schrader 1825 im Bebenhäuser Klosterhof in Lustnau eine Rettungsanstalt für verwahrloste Kinder und nannte sie nach der Tochter von Königin Katharina Sophienpflege. Sie ist die erste diakonische Einrichtung im Landkreis Tübingen. 1840 bekamen dort bereits 40 Kinder einen Schlafplatz und etwas zu essen, wurden zu Fleiß, Bescheidenheit und christlicher Frömmigkeit erzogen, gingen zur Schule und arbeiteten in der Land- oder Hauswirtschaft. Mit der Konfirmation wurden sie entlassen.

Anfang der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts platzte die Einrichtung aus allen Nähten und einige Jahre später zog die Sophienpflege auf die Pfrondorfer Höhen, wo sie stetig erweitert, modernisiert und neuen Anforderungen in der Sozialpädagogik angepasst wurde.

Noch vor Kirche und Kinderheim gab es in Pfrondorf im Kohlplattenweg seit 1801 die erste Schule, die auch als Rathaus diente. Ein richtiges Rathaus leisteten sich die Pfrondorfer erst 1878. Dazu kauften sie das nicht mehr benötigte Forsthaus auf dem Einsiedel. In einem aufwendigen Prozess brach man es Stein für Stein ab, nummerierte alles durch, transportierte es nach Pfrondorf und baute es an seinem heutigen Standort in der Lustnauer Straße wieder auf. So geht schwäbisches Recycling!

Besonderen Bürgersinn beweisen die Pfrondorfer bei der Nahversorgung. Nachdem jahrelang kein Lebensmittelgeschäft in Pfrondorf gab, gründeten die Bürgerinnen und Bürger 2002 einen Genossenschaftsladen, der die Bevölkerung mit nahezu allem versorgt, was man für das tägliche Leben braucht. Ungefähr 50 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten neben den fest angestellten Kräften den Laden am Laufen. Pfarrer Reuchlin und Professor Schrader hätte so etwas gefreut. Andrea Bachmann /

Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
17.10.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 17.10.2018, 01:00 Uhr

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