Ein amüsanter Tübingen-Kosmos

„Abgestaubt!“ Das Tübinger Stadtmuseum stellt einige seiner Sammlungsschätze aus

Nichts für Minimalisten: In den Depots des Tübinger Stadtmuseums lagern 50 000 Objekte.

03.04.2019

Die Malerfamilie Schüz ist auch im Tübinger Stadtmuseum vertreten. Bilder: Andrea Bachmann

Die Malerfamilie Schüz ist auch im Tübinger Stadtmuseum vertreten. Bilder: Andrea Bachmann

Darunter sind Dinge, die man in einem Stadtmuseum erwartet: Die Fahne der Stadtgarde zu Pferde zum Beispiel, die 1952 in die Städtischen Sammlungen kam und die um das Jahr 1200 angefertigt wurde. Bei einem kunstvoll geschnitzten afrikanischen Elfenbeinhorn aus dem 16. Jahrhundert wird es schon schwieriger: Was hat das mit Tübingen zu tun? Der Tübinger Diplomat Karl von Kölle hatte das kostbare Stück in Rom erworben und es der Stadt Tübingen vermacht. Richtig bizarr sind aber Dinge wie eine Papiertüte voller Korken aus dem Tübinger Schlachthof oder ein kleines Frauenbein aus Porzellan, mit dem Studenten sich früher ihre Pfeife gestopft haben.

Für das Stadtmuseum macht der künstlerische oder materielle Wert eines Gegenstands keinen Unterschied. „Jedes einzelne Objekt, das seinen Weg in die Städtischen Sammlungen findet, wird mit derselben archivalischen Sorgfalt behandelt“, erklärt Argiro Mavromatis, die zu dem Team gehört, das unter der Leitung von Andrea Richter 300 solcher Dinge „abgestaubt“ hat, um sie in einer ebenso fantastischen wie aufschlussreichen Ausstellung zu zeigen. Ein vielseitiger, amüsanter und spannender Tübingen-Kosmos spiegelt sich in der Sammlung wider.

Für einige Objekte war das die Gelegenheit, sie einer gründlichen Restaurierung zu unterziehen. Ein idyllisches Bild vom Tübinger Schlosshof vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeigt sich jetzt in seiner ganzen Pracht mit üppig grünenden Bäumen. „Das war heftig, als wir gesehen haben, wie viel Farbe unter dem Firnis war“, berichtet die Kunsthistorikerin.

Die Ausstellung „Abgestaubt! Museumsschätze erzählen Geschichten“ ist eigentlich ein Nebenprodukt eines großen Projekts, an dem die Provenienzforscherin Andrea Richter die vergangenen drei Jahre gearbeitet hat. Hier geht es darum, herauszufinden, wie welches Objekt seinen Weg ins Museum gefunden hat. Das ist oft eine knifflige Detektivarbeit. Dabei sind die Rückseiten der Objekte meist am spannendsten, finden sich hier doch immer wieder Informationen über frühere Besitzer: Das Etikett einer Rahmenhandlung könnte darauf hinweisen, wo sich das Bild zu einer bestimmten Zeit befinden hat. Manchmal kommt dabei heraus, dass die Objekte auf unlautere Weise in den Besitz der Stadt gelangt sind – zum Beispiel wurden während des Nationalsozialismus‘ Juden gezwungen, Kunstgegenstände abzugeben oder weit unter Wert zu verkaufen. Wenn das der Fall ist, versucht man, die rechtmäßigen Eigentümer oder ihre Erben ausfindig zu machen und ihnen die Dinge zurück zu geben. Manchmal erfährt man nur viele kleine zauberhafte Geschichten über die Geschichte hinter den Objekten. Manchmal bringt aber auch die beharrlichste Suche kein Ergebnis. Dann kann man nur hoffen, dass irgendwann einmal Kommissar Zufall neue Erkenntnisse darüber vermittelt, wie ein Objekt ins Stadtmuseum gelangt ist.

Die Ausstellung erzählt aber auch die Geschichte der städtischen Sammelwut selbst. Schon lange, bevor es ein regelrechtes Stadtmuseum gab, präsentierte man im Rathaus Dinge wie Bilder oder silberne Pokale, die die Stadt geschenkt bekommen hatte. „Das war eine Art städtisches Kuriositätenkabinett“, weiß Argiro Mavromatis.

Wunderkammern und Kuriositätenkabinette sind die Vorläufer unserer heutigen Museen. Adlige oder wohlhabende Bürger sammelten alles, was irgendwie wertvoll oder sonderbar oder beides war und zeigten es in extra dafür angefertigten Schränken oder Kammern einem staunenden Publikum.

1913 gründete man in Tübingen einen „Kunst- und Altertumsverein“ und versuchte, das Sammeln von Objekten aus und über Tübingen etwas strukturierter zu betreiben. Der Kulturamtsleiter Rudolf Huber kaufte nach dem Zweiten Weltkrieg erstaunliche Mengen moderner Grafiken. Werke von Künstlerin wie Ernst Ludwig Kirchner oder Lionel Feininger waren damals noch erschwinglich und so verfügt das Stadtmuseum über eine ganze Reihe von Grafiken, die zwar mehr über das Kunstverständnis und den Geschmack von Rudolf Huber aussagen als über Tübingen, aber heute von großem Wert sind.

1964 vermachte Theodor Haering sein Haus der Stadt mit der Auflage, dort ein Heimatmuseum einzurichten und in den 1980er-jahren zog dieses Museum schließlich ins Kornhaus, wo eine Dauerausstellung zur Geschichte der Stadt angelegt wurde, die mittlerweile ein bisschen in die Jahre gekommen ist. „Abgestaubt“ ist deshalb auch ein Test, mit dem neue Ideen für eine neue Ausstellung entwickelt werden sollen. Wichtig wäre es, eine Brücke zum Heute zu schaffen. Das jüngste Objekt in der Ausstellung ist ein Banner zur „Atomwaffenfreien Zone Evangelisches Stift“ aus dem Jahr 1984. Argiro Mavromatis grinst und erzählt: „Da bin ich geboren. In den letzten 35 Jahren ist in Tübingen aber noch mehr passiert.“

Ihre Lieblingsvitrinen sind in die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte integriert und echte Wunderkammern voller seltsamer Dinge, vom Totenschädel bis zur Wurstdose mit Kunstmotiv. Solche Kammern erlauben eine magischen Blick auf die Welt, findet die Tübinger Kunsthistorikerin. „Durch Wundern und Staunen wird der Prozess der Erkenntnis in Gang gesetzt.“ Andrea Bachmann

Die Ausstellung „Abgestaubt!“ im Tübinger Stadtmuseum ist bis 16. Juni zu sehen.

Kornhausgasse 10

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr

Eintritt frei

Sonntagsführungen: Erwachsene 2,50 Euro, ermäßigt 1,50 Euro,

Kinder bis 12 Jahre frei

Die nächste Sonntagsführung ist am 7. April, 15 Uhr: „(Ver)wunderliches und Kurioses“:

Der Rundgang führt durch das gesamte Stadtmuseum. Nach einer Einführung in die Sonderausstellung „Abgestaubt! Museumsschätze erzählen Geschichten“ erkunden die Teilnehmer/innen auch die Dauerausstellung unter dem Gesichtspunkt „Wunderkammern des 14. Jahrhunderts“ und finden Zugang zu wunderlichen Objekten.

Eine moderne Wunderkammer.

Eine moderne Wunderkammer.

Kurioses ohne Herkunft in der Ausstellung „Abgestaubt!“.

Kurioses ohne Herkunft in der Ausstellung „Abgestaubt!“.