Im Schwarm radeln

Am Freitag wird es einen Fahrrad-Flashmob in Tübingen geben

20.06.2018

So sieht es in Tübingen an vielen Stellen aus: voller Fahrradparkplatz am Freibad. Archivbild: Metz

So sieht es in Tübingen an vielen Stellen aus: voller Fahrradparkplatz am Freibad. Archivbild: Metz

Tübingen. Wer ist schon einmal mit zwei Packtaschen voller Lebensmittel auf dem sogenannten Fahrradschutzstreifen über die Neckarbrücke geradelt und hat leichte Panik geschoben, dass die SUV-Fahrerin hinter einem die Überbreite beim Überholen nicht bemerkt? Wer hat sich schon einmal darüber geärgert, dass man nicht einfach so über die Blaue Brücke radeln kann? Wer hat sich schon einmal gefragt, warum vor Supermärkten mehr Autos abgestellt werden können als Fahrräder?

Fahrräder werden in der Verkehrspolitik immer noch als Verkehrsmittel zweiter Klasse behandelt – nice to have, trendy und umweltfreundlich, aber nicht mit der Bedeutung des Autos zu vergleichen und doch eher etwas für Kinder, Studierende und Freizeitsportler.

Dabei gilt Tübingen als sehr fahrradfreundliche Stadt – manchen ist sie sogar schon zu fahrradfreundlich. Vielleicht ist Tübingen deshalb eine Art Schlusslicht einer Idee, die in den 1990er-Jahren in San Francisco geboren wurde. „Critical Mass“ heißt die weltweite Bewegung, die Veranstaltung findet mittlerweile in vielen Städten regelmäßig statt: Dutzende, Hunderte, im besten Fall Tausende von Menschen radeln wie ein riesiger Fischschwarm durch die Innenstadt und beanspruchen so den Raum, der dem Fahrrad nur allzu selten zugestanden wird.

Der Gedanke dahinter ist so einfach wie logisch: Erst wenn eine bestimmte Menge von Menschen etwas beanspruchen, wenn eine „kritische Masse“ erreicht ist, hat ihr Anliegen eine echte Chance, gehört zu werden. Für Freitag, 22. Juni, haben verschiedene Vereine, Gruppen und Initiativen auch in Tübingen zum gemeinsamen Radeln eingeladen: Um 18 Uhr trifft man sich vor der Unibibliothek und radelt etwa eine Stunde durch die gesamte Tübinger Innenstadt bis auf den Marktplatz. Dort gibt es eine Abschlusskundgebung vor dem Rathaus mit einem gemeinsamen „Bike-up!“. Anschließend wird zusammen gefeiert.

„Die Critical Mass ist kein Flashmob, denn alles ist vorher genau geplant. Aber eine richtige Demonstration ist sie auch nicht. Wir wollen einfach eine politische Forderung in ein Event verpacken, das Spaß macht“, meinen Christoph Lederle und Britta Zimmermann von dem mehrköpfigen Organisationsteam. Die Veranstalter hoffen auf mindestens 500 Mitradelnde. Im April waren in Stuttgart 2000 Menschen auf den Rädern, Reutlingen bringt es auf etwa 100.

Wenn Hunderte von Radfahrern im Pulk durch die Straßen fahren – wo bleiben dann die Autos? „Die müssen dann eben ein wenig warten – aber diese Art von Fahrrad-Flashmob ist keine Anti-Auto-Veranstaltung. Wir wollen die Auto nicht ausbremsen, sondern als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer wahr- und ernstgenommen werden“, erklärt die Studentin Marlene Thöne.

Warum gibt es ausgerechnet in Tübingen erst jetzt solch eine Veranstaltung? „Wir haben das schon einmal probiert, aber es kamen einfach zu wenig Leute“, erzählt Britta Zimmermann, die beim ADFC Mountainbike-Touren anbietet. „Vielleicht war der Leidensdruck in Tübingen nicht so hoch wie in anderen Städten.“

Im Organisationsteam sind sich alle einig, dass Fahrrad fahren in Tübingen einfacher ist als in vielen anderen Städten. Aber das heißt noch lange nicht, dass Radlerinnen und Radler in der Universitätsstadt rundum wunschlos glücklich wären: Es gibt zum Beispiel immer noch keine durchgehenden Radstrecken vom Bahnhof zu den Kliniken und die Fahrradstreifen sollten breit genug für Anhänger sein. Vor allem aber geht es allen darum, dem Fahrrad im öffentlichen Raum mehr Platz einzuräumen und es als tatsächlich gleichberechtigtes Verkehrsmittel neben dem Auto anzusehen. Andrea Bachmann

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Erstellt:
20.06.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 20.06.2018, 01:00 Uhr

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