Waldbaden im Olgahain

Annette Maria Rieger hat einen stimmungsvollen Waldführer für alle Wälder Baden-Württembergs geschri

22.05.2019

Ein kleiner Teich im Olgahain, in dem sich der Himmel spiegelt. Bilder: Andrea Bachmann

Ein kleiner Teich im Olgahain, in dem sich der Himmel spiegelt. Bilder: Andrea Bachmann

Bei Annette Maria Rieger steht im Garten unter einer Birke ein Bett. Da schläft sie gerne im Sommer. Manchmal verbringt sie die Nacht auch am Ufer der Murg, gerne gemeinsam mit ihren beiden Töchtern. Die Journalistin, die in einem kleinen Dorf im Nordschwarzwald daheim ist, fühlt sich im Wald zu Hause. Jetzt hat sie ein Buch darüber geschrieben. „Waldbaden“ ist ein stimmungsvoller Waldführer mit Spaziervorschlägen für alle Wälder in Baden-Württemberg.

Waldbaden ist voll im Trend und in Japan sogar eine anerkannte Therapie. Mittlerweile ist „Shinrin-Yoku“ auch in heimischen Wäldern angekommen. Annette Maria Rieger geht es aber gar nicht so sehr um die Kunst, das perfekte Komorebi – so nennen die Japaner die durch die Bäume einfallenden Sonnenstrahlen – zu erkennen oder mehrstündige Kontemplationen anzuleiten. Sie möchte vor allem dazu einladen, den Wald als einen Ort wieder zu entdecken, indem man einfach sein darf, ohne Eile und ohne Ziel.

Baden-Württemberg ist ein besonders ergiebiges Waldland: 40 Prozent der Fläche zwischen Oberschwaben, Alb und Kraichgau ist von Wald in erstaunlicher Vielfalt bedeckt.

Dazu gehört auch der Olgahain im Kirnbachtal zwischen Tübingen und Bebenhausen. Dort sind wir zu einem Waldspaziergang verabredet. Ein verwunschener Ort, den der württembergische König Karl 1870 für seine russische Frau Olga anlegen ließ. Hier findet man bemooste Baumriesen, verträumte Pfaden und einen kleinen Teich, in dem sich der Himmel spiegelt. „Bäume sind eine Brücke zwischen Himmel und Erde“, findet Annette Maria Rieger. Sie sei keine Bäume-Umarmerin, aber in ihrem Buch finden sich dann doch eine ganze Reihe Ideen, um sich mit dem Wald anzufreunden: den Steinen in einem Bach Namen geben oder mit den Fingern Botschaften an sich selbst auf den Stamm einer Buche schreiben, gehören dazu.

Vor allem geht es immer wieder darum, den Wald mit allen Sinnen zu erfahren, ihn zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken. Wir probieren Sauerklee und junge Buchenblätter. „Wann hast du zum letzten Mal an einem Baum hochgeschaut“, fragt Annette Maria Rieger und tatsächlich eröffnet der Blick den Stamm hinauf ganz neue Perspektiven. Einige Bäume teilen sich mehrere Meter über dem Boden. Das sind sogenannte Zwiesel. Warum der Baum auf einmal zwei Stämme ausbildet, ist noch nicht vollständig geklärt. Es könne am Wildverbiss liegen, aber auch an bestimmten elektromagnetischen Feldern. Anschließend geht der Blick nach unten auf den Boden: Farne wachsen dort, jede Menge Gräser und Blumen. Wir finden ein paar Erdbeerblüten. Auch wenn das Buch viel Wissenswertes über Botanik und Geologie, Geschichte und Ökologie vermittelt, geht es in erster Linie immer darum, den Wald als Erholungs- und Sehnsuchtsort neu zu erleben.

Annette Maria Rieger lädt dazu ein, ein neues Zeitbewusstsein zu entwickeln. Bäume waren lange vor den Menschen da und können im Gegensatz zu uns mehrere hundert Jahre alt werden. Ihre Widerstandskraft ist erstaunlich und wir profitieren davon: Die Terpene, chemische Botenstoffe, die hauptsächlich in den ätherischen Ölen von Nadelbäumen enthalten sind, spinnen ein regelrechtes Nachrichtennetz durch das Ökosystem Wald, das einzelne Bäume vor Schädlingen schützt. Die stärken auch das menschliche Immunsystem.

Hat sie keine Angst ganz allein im Wald? „Nein, nie. Wovor denn? Ich habe noch nie eine schlechte Erfahrung gemacht.“ Im maiengrünen Olgahain wirkt die Vorstellung, unter die Räuber zu fallen oder dem bösen Wolf zu begegnen, genauso absurd, wie sie sich anhört. Trotz umgestürzter Bäume, aus deren massigen Wurzeln schon wieder erste Schösslinge sprießen und riesigen Findlingen, auf denen die unterschiedlichsten Moosarten ein Patchworkpolster gebildet haben, ist zu erkennen, dass dieser märchenhafte Ort von Menschen gestaltet wurde: Da führen Treppenstufen einen Hang hinauf, Steinbänke stehen für eine Ruhepause bereit und der kleine, kreisrunde Teich macht das Idyll schließlich perfekt.

In ihrem Buch stellt Rieger auch andere Waldtypen vor: vom Wasser geprägte Auwälder, den dunklen Tannenwald ihrer Heimat im Nordschwarzwald oder Bannwälder, aus denen der Mensch sich völlig zurückgezogen hat und die sich selbst überlassen werden – kleine Urwaldinseln in der Kulturlandschaft Wald.

Entstanden ist eine poetische Liebeserklärung an den Wald: „Es gibt eine Wirklichkeit, die unabhängig vom Menschen existiert“, ist Annette Maria Rieger überzeugt. Um sie zu erkennen, reicht es völlig aus, einfach in den Wald zu gehen. Waldbaden funktioniert auch ohne Japanischkenntnisse. Andrea Bachmann

Annette Maria Rieger: Waldbaden – Orte zum Kraft

tanken in Baden-Württemberg, Belser Verlag.

Annette Maria Rieger ist keine Bäume-Umarmerin, aber sie fühlt sich im Wald zu Hause.

Annette Maria Rieger ist keine Bäume-Umarmerin, aber sie fühlt sich im Wald zu Hause.

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Erstellt:
22.05.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec
zuletzt aktualisiert: 22.05.2019, 01:00 Uhr

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