Henkersmahlzeit und Armsünderfett

Auf den Spuren uralter Flurnamen: Galgen

18.01.2023

Das ist eines der Straßenschilder der Tübinger Galgenbergstraße, die passenderweise zum Bergfriedhof führt. Bild: Arndt Spieth

Das ist eines der Straßenschilder der Tübinger Galgenbergstraße, die passenderweise zum Bergfriedhof führt. Bild: Arndt Spieth

Im Landkreis Tübingen gibt es viele Flurnamen, die auf einstige Richtplätze mit Galgen hinweisen: der Tübinger Galgenberg, der Galgengraben, das Galgenfeld und das Hochgericht zwischen Rottenburg und Kiebingen. In Baisingen erinnert der Galgenweg an einen alten Richtplatz und bei Reusten gibt es den Galgeneggert „Galgen Ödgarten“ und gleich daneben im Hardtwald den Flurnamen Bußweg. Es gab aber noch weitere Richtplätze im Landkreis. So sieht man auf alten Karten einen Galgen beim heutigen Flugplätzle in Poltringen und einer stand westlich von Bieringen bei der Galgenhalde.

Das Wort Galgen stammt aus dem Althochdeutschen (galgo) und bedeutete Pfahl oder Stange. Hängen ist eine der ältesten Todesstrafen und wird leider auch heute noch in vielen Ländern praktiziert wie im Iran oder im Ägypten. Im Mittelalter wurde vor allem Diebe gehängt und manchmal reichte schon ein kleiner Diebstahl – besonders bei niederem sozialen Rang. Mörder wurden meist gerädert, sozial höher Gestellte enthauptet, denn Hängen galt als unehrenhaft.

Die Größe und Beschaffenheit der Galgen waren unterschiedlich. Anfangs wählte man dafür Bäume, besonders Eichen, und Flurnamen wie Diebsbaum erinnern noch daran. Die ersten Galgen waren Holzpfähle mit Querbalken. Bald wurden die Richtstätten immer professioneller und es gab größere Galgen, „zweischläfrig“ mit zwei Pfosten und „dreischläfrige“ mit drei Pfosten oder noch größere Galgenkonstruktionen.

Am Abend vor der Hinrichtung bekamen die Verurteilten ihre letzte Mahlzeit, die sprichwörtliche „Henkersmahlzeit“. Auf dem morgendlichen Gang zum Richtplatz hatten Verurteilte noch Gelegenheit zur Buße und letzten Beichte. Zur Hinrichtung musste die gesamte Bevölkerung erscheinen. Es kam oft zu volksfestartigen Menschenaufläufen, denn auch Sensationsgierige aus dem weiteren Umland wollten sich diese „Mordsgaudi“ nicht entgehen lassen. Dabei wurde auch reichlich getrunken und gegessen. In Böblingen ist überliefert, dass bei einer Hinrichtung 1819 solche Massen anwesend waren, dass in der ganzen Stadt kein Stück Brot mehr zu bekommen war. Damals wurde ein 20-jähriger Vatermörder gerädert und sein 26-jähriger Schwager enthauptet und ihre Köpfe wurden anschließend auf Pfähle gesteckt. Und das immerhin noch im 19. Jahrhundert!

Galgen dienten auch der Abschreckung und waren an gut sichtbaren Plätzen aufgestellt: auf Anhöhen oder nahe größerer Handelswege. Vogelfreie und schlimmere Delinquenten ließ man gerne bis zur Verwesung hängen. Der Henker vergrub dann Leichenteile beim Galgen. Weil viele diese unheimlichen Orte mieden, wurden Galgen gerne an Herrschaftsgrenzen aufgestellt, auch zur Proklamation der Blutgerichtsbarkeit, wobei der Schatten des Galgens nicht auf das angrenzende Gebiet fallen durfte.

War ein neuer Galgen fällig, musste der in Gemeinschaftsarbeit durchgeführt werden. Kein Handwerker wollte sich seinen Ruf als „Galgenbauer“ ruinieren. Henker waren verachtet und sollten nicht berührt werden. Die Söhne des Henkers waren dazu verdammt, das Todeshandwerk ihres Vaters ebenfalls auszuüben und die Töchter mussten andere Scharfrichtersöhne heiraten.

Trotz dieser Verachtung gestand man Henkern besondere Kräfte zu und sie verfügten über Gegenstände, die als Amulette heiß begehrt waren wie zum Beispiel Galgenstricke oder Leichenteile der Gerichteten. In der Volksmedizin wurde das beliebte „Armsünderfett“ bis ins 19. Jahrhundert von Scharfrichtern aus den Körpern von Hingerichteten hergestellt und verkauft. Es galt damals fast als Allheilmittel. Am Galgen abgetrennte „Totenhände“ verwendete man gerne als Talisman und sie wurden auch in Apotheken feilgeboten. Diese Talismane wurden zur Beseitigung von Feuermalen, bösartigen Geschwüren, Krebsleiden und auch gegen Zahn- und Rheumaschmerzen getragen. Auch beim Blut der Exekutierten vermutete man Zauberkräfte, weshalb sich das Publikum bei Hinrichtungen oft tumultartig um das Blut der Opfer stritt.

1786 wurde in Vorderösterreich unter Kaiser Joseph II. die Todesstrafe abgeschafft. Auch in Württemberg gab es immer weniger Hinrichtungen und ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Todesurteile nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollstreckt. Im NS-Regime griff man das ‚unehrenhafte Hängen‘ zur Exekution von NS-Widerstandskämpfern wieder auf. Arndt Spieth