Als Lepra zur Volksseuche wurde

Auf den Spuren uralter Flurnamen: Gutleuthaus

Der Flurname „Gutleuthaus“ findet sich meist außerhalb der Gemeinde.

20.02.2019

Das Gutleuthaustäle liegt bei Herrenberg, die Ammer abwärts. Bild: Arndt Spieth

Das Gutleuthaustäle liegt bei Herrenberg, die Ammer abwärts. Bild: Arndt Spieth

Verlassen wir die Altstädte von Tübingen, Rottenburg oder Herrenberg, so entdecken wir etwas außerhalb auf den seltsamen Flurnamen „Gutleuthaus“, oft verbunden mit dem Zusatz –bach, -hölzle oder –täle. Wir finden diesen Namen auch in der Umgebung von ganz unterschiedlichen Städten wie Hechingen, Konstanz, Heidelberg oder Frankfurt.

In Tübingen ist es der Gutleuthausbach am östlichen Teil des Nordrings, Richtung Lustnau. Aus dem Tübinger Gutleuthaus ging später das Pauline-Krone-Heim hervor und Teile des Haupthauses stecken noch im dortigen Altbau. In Herrenberg kommen wir zum Gutleuthaustäle, wenn wir die Ammer abwärts Richtung Tübingen gehen und in Rottenburg steht nahe am Neckar noch die ummauerte Gutleuthauskapelle.

Im Mittelalter waren die auch als „domus leprosorum“ bezeichneten Anwesen die Orte, an dem die Leprakranken bis zu ihrem Tod untergebracht waren. Damals hatte sich die von Kreuzfahrern eingeschleppte Lepra zur Volksseuche entwickelt. Bestand ein Verdacht auf Lepra, wurden die Erkrankten aus der Stadt gebracht, um ein weiteres Ausbreiten zu verhindern. Ihnen wurde das letzte Requiem gelesen, dann man wickelt sie – gleich welchen Standes – in graue Lepratücher und brachte sie ins „domus“: Sie wurden buchstäblich ins „Haus der Guten Leute“ ausgesetzt und daher sprach man bald nur noch von den „Aussätzigen“. Dort angekommen, fristeten sie mit den anderen Aussätzigen ihre letzten Jahre und wurden schließlich auch beerdigt. Für die Gesellschaft waren sie im Grunde bereits tot, wenn sie aus dem Ort gewiesen wurden. Kontakte zur ihren Kindern, Ehemännern oder –frauen, Eltern und Freunden waren nicht erlaubt. Ihre Behausungen mit eigenen Kapellen lagen immer an Handelswegen außerhalb der Stadt, damit sich die Ausgestoßenen genügend Almosen erbetteln konnten.

Wie in Horb führte oft auch der Jakobsweg dran vorbei, denn Pilger wollten möglichst viele gute Werke tun und waren besonders spendenfreudig. Der Name „Gutleut“ (Gute Leute) sollte die Vorbeiziehenden daran erinnern, dass es sich hier um gute Menschen handelte, die Hilfe und Barmherzigkeit wirklich verdient hatten.

Neben den Almosen konnten sich die Lepra-Kranken zusätzlich ihr eigenes Gemüse in ihren Gärten an den Gutleuthausbächen ziehen, soweit es gesundheitlich eben ging.

Für die Leprakranken gab es viele Vorschriften: Mit Holzklappern mussten sie Gesunde schon von der Ferne warnen und sie durften nur mit einem langen Stock auf Waren zeigen, die man ihnen dann zuwarf. „Barfußlaufen“ war verboten, ebenso das Waschen in Bächen oder Quellen. Befand sich jemand in Windrichtung, durften sie nicht sprechen und Brückengeländer und Türklinken sollten nur mit Handschuhen berührt werden.

Als Lepra hierzulande wieder verschwand, wurden die Gutleuthäuser zu Armen- und Pflegeheimen. In der Beschreibung des Oberamts Tübingen von 1867 liest sich das dann so: „Das Armenhaus (Gutleuthaus), 1/4 Stunde nordöstlich von der Stadt gelegen, ist zur Aufnahme von Personen bestimmt, die mit ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten behaftet sind. Im Hintergebäude, dem ehemaligen Lazaretthaus, sind simpelhafte, epileptische etc. Kranke und einige Irren untergebracht.“

Heute sind viele der alten Aussätzigenherbergen verschwunden und an ihre Standorte erinnern nur noch die alten Flurnamen. Das Gutleuthaus in Rottenburg aber mit seiner gotischen Pforte ist durchaus noch sehenswert, auch wenn das Haupthaus im Jahr 1929 abgebrannt ist und durch einen Neubau ersetzt wurde. Arndt Spieth