Kritik an den Kasten

Balkar Singh über die Corona-Krise in Indien

Als Folge der Corona-Krise wird Balkar Singh mit Umsatzeinbußen konfrontiert. Doch größere Sorgen bereitet dem Tübinger Gastronom die Pandemie in seiner Heimat Indien, die von großer Armut in einem Kastensystem geprägt wird.

17.06.2020

An seinem Turban ist Balkar Singh als Sikh zu erkennen. Während der Corona-Krise bedient der Tübinger Gastronom seine Kunden mit Mundschutz. Bild: Stefan Zibulla

An seinem Turban ist Balkar Singh als Sikh zu erkennen. Während der Corona-Krise bedient der Tübinger Gastronom seine Kunden mit Mundschutz. Bild: Stefan Zibulla

Mit Fäusten und Stöcken schlagen zwei Männer auf eine schreiende Frau ein. Diese brutale Szene aus einem Video belegt für Balkar Singh die menschenverachtenden Folgen des indischen Kastenwesens. „Die Frau wurde bestraft, weil sie sich an einer Wasserstelle bedienen wollte, die für Angehörige ihrer niedrigen Kaste tabu ist“, erklärt der Gastronom, der seit 2007 in Tübingen ein Restaurant mit indischen Spezialitäten betreibt.

Als Kontrast zum Kastenwesen der Hindus verweist Singh auf die Hilfsbereitschaft der Sikhs, denen er selbst angehört: Menschen, die als Folge der Corona-Krise in bittere Armut geraten sind, wurden in den Tempeln von Neu-Delhi über einen Zeitraum von sechs Wochen zweimal täglich kostenlos mit jeweils 100 000 Mahlzeiten versorgt. Auch in New York verteilen die Sikhs kostenlos Essen an hungernde Menschen.

Wegen der Pandemie musste Singh sein Restaurant für eineinhalb Monate komplett schließen. Die daraus resultierenden Umsatzeinbußen konnte er teilweise mit staatlichen Hilfsgeldern kompensieren. Zudem kommt ihm jetzt zugute, dass er bereits vor der Krise einen gut funktionierenden Lieferdienst aufgebaut hatte. Trotzdem fehlen dem Inder diesen Sommer die Einnahmen, die er in den vergangenen Jahren mit seinen Ständen auf dem Tübinger Ract-Festival und dem Rottenburger Neckarfest generieren konnte.

Größere Sorgen macht sich Balkar Singh wegen der rasanten Ausbreitung der Pandemie in Indien, wo sich nach offiziellen Angaben fast 300 000 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert haben. Die Dunkelziffer der Infizierten in dem asiatischen Land ist hoch, weil nur ein geringer Teil der Bevölkerung auf das Virus getestet wird. „Die Menschen müssen die Tests selbst bezahlen, doch dafür fehlt den meisten das Geld“, stellt Singh fest. „Das Gesundheitssystem ist überlastet und die privaten Kliniken sind geschlossen, weil die Ärzte selbst Angst vor Corona haben“, beobachtet der Inder. Die Hilfszahlungen der WHO kommen nicht dort an, wo sie dringend benötigt werden, kritisiert Singh. „Und wer seine Arbeit verliert oder seine Firma schließen muss, wird von der Regierung im Stich gelassen.“ Stefan Zibulla