Wollt Ihr uns noch?

Bauernvorsitzender Jörg Kautt erklärt die Proteste

Lautstarke Traktor-Demonstrationen sind gerade sehr in Mode: Die Bauern wehren sich so gegen das Agrarpaket der Bundesregierung. Jörg Kautt ist Landwirt in Immenhausen und Vorsitzender des Kreisbauernverbandes. Der TAGBLATT ANZEIGER sprach mit ihm.

05.02.2020

Jörg Kautt wirtschaftet vorwiegend konventionell. Insgesamt bestellt der Immenhäuser Landwirt 90 Hektar. Archivbild: Ulrich Metz

Jörg Kautt wirtschaftet vorwiegend konventionell. Insgesamt bestellt der Immenhäuser Landwirt 90 Hektar. Archivbild: Ulrich Metz

Beim Agrarpaket der Bundesregierung geht es im Wesentlichen um zwei Schwerpunkte: Das Insektenschutzprogramm und das Tierwohllabel (siehe Infobox). Mehrfach hat die Interessensvertretung „Land schafft Verbindung“ (LSV) zu Protesten gegen das Agrarpaket aufgerufen.

Herr Kautt, haben Sie selbst an einer Traktor-Demonstration teilgenommen?

Nein. Diese Proteste sind von der LSV organisiert und die wollen verbandsneutral sein. Als Vorsitzender des Bauernverbandes bin ich in deren Augen ein Funktionär. Da halte ich mich lieber zurück.

Aber Sie sympathisieren mit der Bewegung?

Ja. Wir gehen in die gleiche Richtung. Auch wenn ich in manchen Punkten anders denke. Zum Beispiel müssen wir in Baden-Württemberg nicht über die Düngeverordnung reden. Das tangiert uns nicht. Wir haben hier schon seit den 1990er-Jahren eine Düngeverordnung, die streng genug ist. Bei uns gibt es keine roten Gebiete, also Gebiete, bei denen der Nitratgehalt im Grundwasser zu hoch ist.

Aber die Fragestellung von uns Bauern an die Politik und an die Verbraucher ist ja nach wie vor: „Wollt Ihr uns noch?“.

Über wen ärgern Sie sich mehr: über Agrarministerin Julia Klöckner oder über Umweltministerin Svenja Schulze?

Das Agrarpaket hat Frau Schulze der Frau Klöckner aus den Rippen geleiert. Es wird nun dasselbe in Grün gemacht, wie beim Bürgerbegehren „Rettet die Bienen“. Das Verhältnis von Politik zur Landwirtschaft hat sich verändert. Bisher haben beide Seiten kooperiert, jetzt passt es nicht mehr. Frau Schulze macht reine Ideologie.

Ihre Hauptkritik?

Das Insektenschutzprogramm. Über das Tierwohllabel können wir reden. Das Interesse der Landwirte ist es, die Artenvielfalt zu erhalten, das ist unsere Lebensgrundlage. Das Insektensterben nur einer Berufsgruppe anzulasten, ist nicht ehrlich. Gefragt werden muss doch: Wer ist noch verantwortlich? Mehrere Faktoren tragen dazu bei, der enorme Flächenverbrauch der vergangenen Jahrzehnte zum Beispiel und die Lichtverschmutzung.

Wenn es in der Nähe eines Mobilfunkmastes plötzlich weniger Schmetterlinge gibt, liegt es nahe, an einen Zusammenhang zu denken. Bei uns ist alles zu aufgeräumt und sauber, zum Beispiel die Straßenränder. Insekten verlieren dadurch wertvolle Rückzugsgebiete. Auf der Wiese lasse ich über Winter immer wieder einen Streifen höheres Gras stehen. Warum muss bei uns alles aussehen wie geschleckt? Und: Naturschutz muss so gestaltet sein, dass wir damit leben können.

Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Bei bestimmten Themen definitiv. Thema Nitrat: Wenn die Landwirtschaft als der allein Schuldige für die Grundwasserverschmutzung dargestellt wird, stimmt das nicht. Wir haben die Verpflichtung, sauber zu arbeiten. Unser aller tägliches Leben hat Auswirkung auf unseren Lebensraum.

Ein weitere Forderung ist die Förderung der Öko-Landwirtschaft. 14 Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen Baden-Württembergs werden heute biologisch bewirtschaftet. Es gibt jetzt schon Anzeichen dafür, dass das der Markt nicht aufnimmt. Wenn der Verbraucher mehr Bio will, machen wir das. Aber dann soll der Verbraucher auch mehr Bio einkaufen. Bio bedeutet weniger Ertrag. Das hat seinen Preis, die Landwirte müssen davon leben können.

Muss Bio also billiger sein? Mehr subventioniert werden?

Noch mehr Subventionen bringen nichts. Es ist eine Entscheidung des Verbrauchers.

Stichwort Billig-Bio im Supermarkt. Ist Bio drin, wo Bio draufsteht?

Das muss und darf angezweifelt werden. Auf Proben von Ware aus Südamerika konnten Pflanzenschutzmittel nachgewiesen werden. Hinzu kommt: Wir leben mittlerweile vom Ausland. Es wird mehr importiert als exportiert. Die Tendenz sollte zum Regionalen gehen. Aber was ist an Konventionellem so viel schlechter als an Bio? Landwirte, die ökologisch bewirtschaften und solche, die ihren Hof konventionell betreiben, stehen viel enger zusammen, als in den Medien dargestellt wird. Wir sitzen alle im selben Boot.

Interview: Christine Laudenbach

Das Agrarpaket

Das Insektenschutzprogramm sieht unter anderem die schrittweise Begrenzung von Glyphosat vor, bis zum kompletten Verzicht. Auch der Schutz von Streuobstwiesen ist ein Punkt. Ab 2021 sollen Herbizide und bestimmte Insektizide in Schutzgebieten verboten werden.

Ein freiwilliges Tierwohllabel soll Standards garantieren, die über dem gesetzlichen Minimum liegen.

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Erstellt:
05.02.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 05.02.2020, 01:00 Uhr

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