Im Heute angekommen

Besondere Bauten in der Region: Technisches Rathaus in Tübingen

30.03.2022

Besondere Bauten in der Region: Technisches Rathaus in Tübingen

Ein funktionaler Behördenbau, der möglichst offen und transparent daherkommt, unmittelbare Kommunikation ermöglicht, als Passivhaus Energie spart, ressourcenschonend gebaut wurde, den Vorgängerbau aus den 50er-Jahren intelligent integriert, sich perfekt in seine Umgebung einpasst und bei all dem auch noch sehr schön aussieht – das ist eigentlich mehr, als man erwarten kann. Aber unmöglich ist so etwas nicht – seit 2018 tritt das Technische Rathaus in Tübingen dafür den Beweis an.

Eigentlich ist der markante Bau mit der hellen Backsteinfassade gar kein richtiger Neubau, sondern nur eine Erweiterung des alten Technischen Rathauses, das 1954 nach Plänen des Architekten Paul Giesing gebaut wurde. Vermutlich war das Gebäude, dessen Fassade ein Sgraffito mit fliegenden Schwänen des Tübinger Künstlers Ugge Bärtle schmückte, eines der meistgenutzten der ganzen Stadt: Es beherbergte nicht nur das Technische Rathaus mit dem Baurechtsamt, sondern von 1956 bis 1985 auch die Stadtbücherei. Die war etwas ganz Besonderes: Mit den 6000 Bänden, die von den Leserinnen und Lesern einfach aus dem Regal genommen werden konnten, verfügte Tübingen über die erste moderne Freihandbücherei in Baden-Württemberg.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts war das zwischenzeitlich nie renovierte Haus vollkommen heruntergekommen und vor allem viel zu klein: Ein Teil der Mitarbeitenden residierte bereits in einer abbruchreifen Baracke.

Weil es in Tübingen kaum Architektur dieser Größenordnung aus den 50er-Jahren gibt, wollte man dieses einzigartige Zeugnis der Nachkriegsarchitektur nicht abreißen. Ursprünglich sollte es saniert und mit einem Anbau versehen werden. Stattdessen wurde eine architektonische Lösung gefunden, die neues mit dem Bestehenden so miteinander verbindet, dass ein Neubau entstanden ist, der den Geist der 50er-Jahre mit ihrem sparsamen Materialeinsatz, den einfachen Konstruktionen und weichen Formen und den liebevollen handwerklichen Details atmet, aber trotzdem im Heute angekommen ist.

Die Metamorphose des alten Gebäudes in das neue Technische Rathaus besorgte das Architekturbüro Ackermann und Raff in Tübingen. Der neue Erweiterungsteil folgt in einem Bogen der Brunnenstraße, an der Rückseite des Gebäudes blieb an den Ufern der renaturierten Ammer Platz für einen kleinen Park. Der gelbliche Backstein – zum größten Teil wurden Abbruchziegel verwendet – sorgt für schöne, nach Lichteinfall und Wetterlage wechselnde Farbverläufe, die unterschiedlichen Fenstergrößen lockern die Fassade auf. Auch die zur Wilhelmstraße gerichtete Seite wurde mit unterschiedlichen Fensterformen und den Auskragungen an Dachterrasse und Eingangsbereich so gestaltet, dass das Gebäude auch zur Stadtmitte hin „wirkt“ und nicht in der Brunnenstraße verschwindet.

Wer das Gebäude durch den Haupteingang betritt, findet sich in einer etwa 15 Meter hohen Halle wieder. Das von Holzbalken getragene Glasdach holt viel Tageslicht in das großzügige Atrium, in dem die Fassade des Altbaus zu sehen ist. Auch die alten Treppenhäuser mit den schönen Wendeltreppen, die von oben wie ein Schneckenhaus aussehen, wurden erhalten. Die oberste Etage, in der sich ein Veranstaltungsraum und eine Cafeteria befinden, deren Möblierung die bunte Leichtigkeit der 50er-Jahre imitiert, wurde in Holzleichtbauweise auf den Altbau gesetzt.

Jetzt haben alle 220 Mitarbeitenden in dem Gebäude Platz. Die Räume sind so gestaltet, dass es viele Blickbeziehungen innerhalb des Gebäudes gibt, teilweise von Büro zu Büro. Das schafft viele Kommunikationsmöglichkeiten ohne hektische Großraumbüroatmosphäre.

Mit einer Bausumme von etwa 20 Millionen Euro war das technische Rathaus das teuerste Tübinger Bauprojekt seit vielen Jahren – aber erstens wäre ein Neubau noch teurer geworden und zweitens hat es sich einfach gelohnt. Andrea Bachmann /

Bilder: Erich Sommer

Fensterfront an der Rückseite.

Fensterfront an der Rückseite.