Sakristei wie eine Mördergrube

Besondere Bauten in der Region: Wehrkirche St. Magnus in Altingen

12.05.2021

Im Wehrgeschoss von St. Magnus gibt es Schießscharten.

Im Wehrgeschoss von St. Magnus gibt es Schießscharten.

Wuchtiger geht es kaum. Die St. Magnuskirche in Altingen besteht vor allem aus einem nahezu quadratischen, mächtigen Turm, der inmitten eines burgartigen ummauerten Kirchhofes auf einer kleinen Anhöhe steht. Die Mauern sind zwei Meter dick, Schießscharten und eine Fluchttür mit verriegelnden Querbalken erzählen von seiner einstigen Funktion als Wehrturm: Im Erdgeschoss war die Kirche, in den darüber liegenden Stockwerken konnte die Altinger Bevölkerung Schutz suchen. Der Zugang war in neun Meter Höhe auf der Nordseite – da kam so schnell kein Angreifer hin.

Erbaut wurde diese Wehrkirche vermutlich bereits im 12. Jahrhundert und es spricht einiges für die Annahme, dass an ihrer Stelle bereits eine Kapelle oder Kirche gestanden hat, denn 1958 wurden bei Reparaturarbeiten in den Turmmauern Steinquader gefunden, die auf einen solchen Vorgängerbau hinweisen. Bei den Sanierungsarbeiten stellte man auch fest, dass das Langhaus nicht gemeinsam mit dem Turm erbaut, sondern später angebaut wurde. Der Durchbruch in der Westwand des Turms ist jetzt der Chorbogen, der das neue Kirchenschiff mit dem Sakralraum in Turm verbindet.

Auch die wunderschönen Wandmalereien am und im Chorbogen wurden 1958 wiederentdeckt, nachdem sie etwa 150 Jahre unter einer dicken Putzschicht verborgen waren: 1813 entsprachen die Secco-Malereien aus dem Mittelalter dem Zeitgeschmack überhaupt nicht mehr und wurden kurzerhand übertüncht: „Die Kirche sah innen sehr hässlich aus, entstellt von vielen alten Bildern und Engelsköpfen und die Sakristei ähnlich einer Mördergrube. Bei dieser Gelegenheit kamen die alten entehrenden Bilder hinweg und nicht mehr zum Vorschein“, befand der damalige Pfarrer. In den 1950er-Jahren war dann die Begeisterung für die mittelalterlichen Malereien so groß, dass man ihnen zu ganz neuem Glanz verhelfen wollte und sie nicht nur wieder freilegte, sondern auch retuschierte und großzügig ergänzte.

2020 wurden die Malereien bei der großen Innenrenovierung nochmals und diesmal behutsamer restauriert. Sie allein lohnen schon einen Abstecher in diese ungewöhnliche Dorfkirche: Die stimmige und einheitliche Farbpalette aus Rost-, Blaugrün- und Ockertönen, die abwechselnd als Hintergrundfarbe verwendet wurden, macht die Gesamtkomposition harmonisch und lebendig. Vermutlich haben mehrere Künstler die Malereien gestaltet – wer genau hinschaut, sieht deutliche Unterschiede in der Ausführung der einzelnen Bilder.

Man könnte vermuten, die Malereien erzählen die Lebensgeschichte des heiligen Magnus, einem Eremiten, der im 8. Jahrhundert im Allgäu gewirkt haben soll. Aber die einzige Magnusdarstellung in der Kirche ist eine spätbarocke Holzfigur in der Haltung eines begeisterten Redners, womit auf Magnus‘ Missionarstätigkeit angespielt werden soll. Bei den Wandmalereien steht die Jungfrau Maria im Zentrum, Schutzpatronin der Zisterzienser: 1299 wurde das Patronat der Altinger Kirche an das Kloster Bebenhausen verkauft. Die Bebenhäuser Zisterzienser waren im 14. Jahrhundert unangefochten die reichsten und mächtigsten Grundherren der gesamten Region und die Erweiterung und Ausstattung der Kirche geht vermutlich auf ihr Konto.

Die weitere Geschichte des Ortes und seiner Kirche ist kurios und kompliziert: Nachdem das Dorf durch mehrere Hände gegangen war, gehörte 1381 eine Hälfte Altingens Österreich, 1382 kam die andere Hälfte an Württemberg. Ungefähr 150 Jahre lang spielte es für die Altinger Bauern kaum eine Rolle, welchem Herren sie ihre Abgaben zu zahlen hatten, aber als 1534 in Württemberg die Reformation eingeführt wurde, war plötzlich eine Dorfhälfte evangelisch und die andere katholisch. Habsburg verhandelte und St. Magnus durfte katholisch bleiben – die württembergischen Protestanten pilgerten fürderhin zum Sonntagsgottesdienst nach Kayh. Nur bei Kindstaufen nahm man es mit der konfessionellen Spaltung nicht so genau: Wenn die neuen Erdenbürger nicht in Kayh getauft werden konnten, weil sie zu schwach waren oder das Wetter zu schlecht, spendete der katholische Pfarrer Segen und Sakrament.

1806 kam ganz Altingen dann an Württemberg und den ehemals vorderösterreichischen Katholiken wurde freie Glaubensausübung gewährt. Bis die konfessionelle Spaltung allerdings auch in den Köpfen der Leute überwunden war, sollten noch viele Jahre vergehen. Mittlerweile ist Altingen stolz auf seinen ökumenischen Geist: Als 2020 St. Magnus renoviert wurde, war es selbstverständlich, dass den Katholiken in der evangelischen Kirche Gastrecht gewährt wurde. Andrea Bachmann

Im Wehrgeschoss von St. Magnus gibt es Schießscharten.

Im Wehrgeschoss von St. Magnus gibt es Schießscharten.

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12.05.2021, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.05.2021, 01:00 Uhr

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