Schippernde Dächer

Besondere Bauten in der Region: das Niemeyer-Haus

29.04.2020

Der Plan des Architekten Heinrich Niemeyer, das Haus mit seiner natürlichen Umgebung verschmelzen zu lassen, ist in der unteren Neckarhalde in Tübingen voll aufgegangen. Bild: Erich Sommer

Der Plan des Architekten Heinrich Niemeyer, das Haus mit seiner natürlichen Umgebung verschmelzen zu lassen, ist in der unteren Neckarhalde in Tübingen voll aufgegangen. Bild: Erich Sommer

Mit dem brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer, dessen Bauten die Hauptstadt Brasilia ihren Status als Weltkulturerbe zu verdanken hat, ist er tatsächlich entfernt verwandt: Auch der Tübinger Architekt Heinrich Niemeyer kann seinen Stammbaum auf einen braunschweigischen Generalmajor aus dem 18. Jahrhundert zurückführen. Unkonventionell waren beide. Aber die Bauten Heinrich Niemeyers unterscheiden sich deutlich von den futuristischen, kurvenreichen Stahlbetonbauten seines südamerikanischen Kollegen.

Schon während seines Studiums in Stuttgart baute der 1936 geborene Heinrich Niemeyer für den Tübinger Drogisten Hans Herb 1959 ein Haus in der Neckarhalde, das sich durch die für ihn typische naturnahe Architektur auszeichnete. Er verband Naturstein mit Glas und Metall und versah das Haus mit einem begrünten Dach.

1964 eröffnete Niemeyer ein Architekturbüro in Tübingen, wo er im Laufe seines Lebens ungefähr 300 Bauvorhaben realisierte, in denen er seine Visionen von einer organischen Bauweise weiter entwickelte. Haus und Garten bildeten für ihn stets ein Ganzes, zum Wohnen gehört die Natur und ein Haus sollte sich nicht nur in das umgebende Gelände und die Vegetation einpassen, sondern seinen Bewohnern auch für die verschiedensten Lebenssituationen und Bedürfnisse Raum bieten. Rückzug und Geborgenheit, aber auch Öffnung und Freiheit sollten gleichermaßen möglich sein. Niemeyer liebte das Denken in Gegensätzen und die Lust am Experiment. Dabei bewies er ein ausgeprägtes Raumgefühl.

1968 fügte er seinem „Studentenprojekt“ in der Neckarhalde ein größeres verglastes Appartementhaus hinzu. Alles andere als ein rechteckiger Kasten: Von sanft abfallenden, begrünten Dachelementen – „schippernde Dächer“ hat Niemeyer dazu gesagt – bedeckt bietet das Haus ungewöhnliche Ausblicke und Öffnungen. Die Räume haben unterschiedliche Höhen, die Fenster vielfältige Formate, das Licht scheint aus allen Richtungen zu kommen. Der Plan des Architekten, das Haus mit seiner natürlichen Umgebung verschmelzen zu lassen, ist hier voll aufgegangen: Stocherkahnfahrer bemerken das Haus, das direkt am Neckarufer steht, oft erst auf den zweiten Blick. Dabei ist es gar nicht so klein.

Niemeyer widmete sich vor allem dem Wohnhaus, seiner Meinung nach war es die ureigenste Aufgabe eines Architekten, menschliche Behausungen zu schaffen. Eines seiner bekanntesten Bauwerke in Tübingen ist jedoch der Anbau der Papierwarenhandlung von Fritz Schimpf mitten im Zentrum von Tübingen. Andrea Bachmann

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Erstellt:
29.04.2020, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 29.04.2020, 01:00 Uhr

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