Im Fachwerkstil der Küferei

Besondere Bauten in der Region: das Roigelhaus in Tübingen

29.06.2022

Die Glasfenster im Roigelhaus sind besonderes hübsch gestaltet.

Die Glasfenster im Roigelhaus sind besonderes hübsch gestaltet.

Ein Haus wie aus einem Märchenbuch. Fachwerk und Schopfwalmdach, bunte Glasfenster und Herzchen in den Fensterläden, Türmchen und Schnitzwerk. Das Haus der Studentenverbindung Roigel an der Tübinger Burgsteige ist etwas ganz Besonderes, selbst unter all den ganzen großen Villen und kleinen Ritterburgen, die sich die Tübinger Bundesbrüder im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auf den Schloss- oder Österberg gebaut haben.

Das liegt vermutlich an der Studentenverbindung selbst: 1838 gründeten eine Handvoll Theologiestudenten aus dem Evangelischen Stift im Gasthaus zum König in der Herrenberger Straße eine eigene Burschenschaft: Da ihnen als angehenden Geistlichen das akademische Fechten untersagt war, wurden sie in den anderen Verbindungen bestenfalls geduldet und so schafften sie sich ihre eigene bundesbrüderliche Heimat, die sie nach dem Gründungsort „Königsgesellschaft“ nannten. Auf Französisch heißt das „Société du roi“, auf Schwäbisch wird der „Roigel“ daraus. Der war im Gegensatz zu anderen Verbindungen weder schlagend noch farbentragend. Stattdessen übten sich die Bundesbrüder in der Dichtkunst.

Vielleicht inspirierte sie das zu dem fantasievollen Haus. 1904 bauten die Stuttgarter Architekten Paul Schmohl und Georg Stähelin die beeindruckende Villa an die Stelle der alten Schlossküferei aus dem späten Mittelalter.

Die beiden Architekten hatten sich während des Studiums kennen gelernt und 1895 eine Sozietät gegründet. Sie bauten diverse Villen im Stuttgarter Norden und das legendäre Kino Metropol. Von 1906 bis 1935 war Paul Schmohl Direktor an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart. Beide gehörten dem Württembergischen Bund für Heimatschutz an und legten in ihren Entwürfen großen Wert darauf, die Häuser an die Umgebung und das bestehende Stadtbild anzupassen.

Deshalb orientierten sie sich bei dem Tübinger Verbindungshaus an dem Fachwerkstil der alten Küferei und versahen das neue Haus ebenfalls mit einem Walmdach. Dazu wurde es mit dekorativen Jugendstilelementen modernisiert. Dazu gehören die bleiverglasten bunten Fenster an der Westseite des Gebäudes. Das mittlere Fenster ziert das Gesellschaftswappen der Verbindung, rechts ist der Dichter Eduard Mörike zu sehen und links sein Freund Johann Georg von Fischer, ein Ehrenmitglied des Roigel. Eduard Mörike hatte als Student eine Zeitlang im Gartenhaus über der historischen Kegelbahn gewohnt.

Die Motive im unteren Teil der Fenster sind Szenen aus den Liedern über den sagenhaften Herrn von Rodenstein, die sich auf den Roigel-Kneipen großer Beliebtheit erfreuen. Dieser Herr, der im 15. Jahrhundert im Odenwald lebte, soll so trinkfest und rauflustig gewesen sein, dass er nicht nur sein gesamtes Vermögen verprasste, sondern noch heute mit einem wilden Heer nächtens über den Himmel reitet.

Zauberhaft sind auch die hölzernen Konsolstützen im Giebel, die der Stuttgarter Bildhauer Emil Kiemlen mit Tierskulpturen versah: eine Bier trinkende Sau, eine fauchende Katze mit einem Fisch, eine Eule und ein Fuchs mit zwei zappelnden Fröschen. Der Tübinger Märchendichter Wilhelm Hauff – selbst Mitglied der Burschenschaft Germania –, hätte an diesem Bestiarium sicher seine helle Freude gehabt. Andrea Bachmann

Die Glasfenster im Roigelhaus sind besonderes hübsch gestaltet.

Die Glasfenster im Roigelhaus sind besonderes hübsch gestaltet.

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29.06.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 29.06.2022, 01:00 Uhr

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