Die größte Kelter der Stadt

Besondere Bauten in der Region: der Bebenhäuser Pfleghof

18.12.2019

Die lebensgroße Madonna ist aus Dettenhäuser Sandstein.

Die lebensgroße Madonna ist aus Dettenhäuser Sandstein.

Wahrscheinlich war es nicht so. Aber es macht Spaß, sich vorzustellen, dass der Bebenhäuser Abt Bernhard Rockenbauch von Magstadt angesichts der neu erbauten Tübinger Stiftskirche zu seinem Verwalter Bartholomäus Heubach aus Herrenberg sagte: „Wenn die Grafen von Württemberg solch eine Kirche bauen können, dann zeigen wir ihnen mal, was das Kloster Bebenhausen für eine Scheune bauen kann!“

Die beiden Zisterzienser waren nicht amüsiert, als sie feststellen mussten, dass sie nach der Universitätsgründung 1477 aus der Stiftskirche, die lange Zeit dem Kloster inkorporiert war, praktisch ausgebootet worden waren: Die Pfarrei wurde jetzt ausschließlich mit Universitätsangehörigen besetzt und die Bebenhäuser hatten nichts mehr zu sagen. Dabei hatten sie sogar ihren Wirtschaftshof in der Münzgasse 22 unentgeltlich der Universität überlassen, damit die dort Hörsäle und eine Bibliothek einrichten konnte.

Jetzt wollte man zeigen, was man konnte und hatte – immerhin war das Kloster Bebenhausen der reichste Grundherr weit und breit! Die Ordensregel „Ora et labora“, die verlangte, dass die Mönche alles zum Leben Notwendige selbst erwirtschafteten, hatte das Kloster reich gemacht. Es verfügte über eine hervorragend organisierte Landwirtschaft und zahlreiche gut geführte Handwerksbetriebe und war so zu einer einflussreichen Wirtschaftsmacht aufgestiegen.

1492 begannen die Umbauarbeiten an dem damals noch kleinen Pfleghof am Österberg, wo die Abgaben, die die Pächter und Fronleute des Klosters zu zahlen hatten, gesammelt, gelagert und vermarktet wurden. Man vergrößerte den Süd- und Westflügel mit der großen Halle im Erdgeschoss und baute zur Stadtseite – der heutigen Pfleghofstraße – eine imposante Mauer mit zwei Türmen. Jetzt besaß der Pfleghof die größte Kelter der Stadt, mehrere Wein- und Getreidelager sowie Ställe mit Platz für 13 Pferde. Die Lasten werden über einen Aufzug ins Gebäude verbracht, allein auf dem Boden des Südflügels ist Platz für 1800 Garben.

An der südwestlichen Ecke entstand die Marienkapelle, die größer und repräsentativer ausfiel, als man es von der Kapelle eines Wirtschaftshofes erwarten durfte, aber schließlich wollte man wenigstens einen kleinen Ersatz für die Stiftskirche. Um die Bedeutung der Kapelle zu unterstreichen, erhielt jeder Besucher einen 40-tägigen Ablass.

Die lebensgroße Madonna aus Dettenhäuser Sandstein wurde 1510 von demselben Künstler geschaffen, der auch die Schlusssteine für die Pfleghofkapelle gestaltet hat. Sie blickt über den Holzmarkt direkt zu der Madonnenskulptur im Langhausfenster der Stiftskirche. Vielleicht wollten die reichen Bebenhäuser Mönche mit diesem Detail ihre zumindest noch formal bestehende Verbundenheit mit der Stiftskirche demonstrieren. Im 19. Jahrhundert wunderte man sich über den „wenig liebreizenden“ Gesichtsausdruck der Madonna, die mittlerweile starke Alterungsspuren zeigt und deren Hände und Füße abgebrochen sind. Der sie krönende Baldachin musste 1989 ersetzt werden, weil er zu stark verwittert war.

Jahrhundertelang blieb der Bebenhäuser Pfleghof ein Wirtschaftshof. 1806, nach der Säkularisation, kam er in Staatsbesitz und wurde an verschiedene Nutzer verpachtet. Ab 1820 nutzte ihn auch die Universität und richtete dort zunächst einen Fechtboden ein. 1860 kam ein Turnsaal dazu und 1925 ein Tanzsaal. Das alles waren Fächer, die im Rahmen einer „ganzheitlichen“ Ausbildung der Studenten unterrichtet wurden. 1881 kam die „archäologische Sammlung“, die Abgusssammlung, die heute im Rittersaal von Schloss Hohentübingen bewundert werden kann, in den Pfleghof.

Die Kapelle wurde als Proben- und Konzertraum genutzt, bevor man 1907 in den Großen Saal im Erdgeschoss umzog. 1923 wurde das Musik-Institut offiziell im Pfleghof gegründet, 1924 schrieben sich 17 Studenten ein und der Pfleghof wurde für fast 50 000 Mark umfassend renoviert. Heute belegt das Musikwissenschaftliche Institut mit einer großen Instrumentensammlung den größten Teil des Pfleghofs, der zudem ein Studentenwohnheim, eine Kindertagesstätte, eine Polizeistation und die Sprechstelle der Bewährungshilfe beherbergt. Andrea Bachmann

An der südwestlichen Pfleghofecke ist die Marienkapelle, die für eine Wirtschaftshofkapelle recht groß ist. Bilder: Erich Sommer

An der südwestlichen Pfleghofecke ist die Marienkapelle, die für eine Wirtschaftshofkapelle recht groß ist. Bilder: Erich Sommer