Schnörkellos modern

Besondere Bauten in der Region: der Kupferbau der Uni Tübingen

25.05.2022

Besondere Bauten in der Region: der Kupferbau der Uni Tübingen

Vor vierzig Jahren wollte ich unbedingt an einer großen, traditionsreichen Universität in Süddeutschland studieren und ging deshalb nach Tübingen. Hörsäle kannte ich bis dahin nur aus dem Kino und da waren sie so alt und ehrwürdig wie die Aula meines Flensburger Gymnasiums, ein Stück Heimatschutzarchitektur aus Vorweltkriegszeiten.

Diese Vorstellungen musste ich gründlich revidieren: Meine Studienjahre verbrachte ich zwischen Brechtbau, Mensa und Universitätsbibliothek. Nur deren Historischer Lesesaal entsprach meinen Erwartungen.

Auch der Kupferbau war auf den ersten Blick ein weiterer „moderner Klotz“, hässlich und funktional. Aber wie überrascht war ich, als ich in den weitläufigen Foyers stand. Der blaue Steinfußboden, die großzügigen Treppenaufgänge, die hohen Hörsäle – all das atmete eine Weite, die ich als sehr wohltuend empfand.

Irgendwann freundete ich mich auch mit den klaren Linien des fast fensterlosen Baukörpers an, den angeschrägten Dächern, der dunklen, schimmernden Außenhaut. Ich begriff, dass diese klare, asketische Formensprache mit den ineinander geschobenen Raumvolumen und der sachlichen Gestaltung anspruchsvoller sein kann als ein verspielter Backsteinbau voller Erker, Türmchen und Zinnen.

Dieser kastenförmige Kupferbau vermittelte kein kuscheliges Universitätsidyll, sondern etwas, das sich für eine Studentin Mitte der 80er-Jahre sehr modern anfühlte, frei und offen. Ein Raum zum Denken und Diskutieren. Ende der 1960er-Jahre hatte das Bauamt der Universität Tübingen sehr viel Mut bewiesen: Für gleich zwei große und repräsentative Bauvorhaben, die Mensa und den Kupferbau, engagierte es mit Paul Baumgarten nicht nur einen der renommiertesten Architekten der Nachkriegszeit, sondern auch einen, der wie kaum ein anderer kompromisslos eine schnörkellose Moderne vertrat.

Bereits 1934 hatte er von sich reden gemacht, als er mit einer Müllverladestation in Berlin-Charlottenburg eines der überzeugendsten Beispiele des Neuen Bauens ablieferte: sachlich, schlicht, reduziert. In der Nachkriegszeit wurden Baumgarten eine der Leitfiguren der jungen Architektur, dem es gelang, Deutschland an die internationale Moderne anzuschließen. Ihn beauftragte man mit dem Bau des Konzertsaals der Berliner Hochschule der Künste, dem Umbau des Reichstags und dem Amtsgebäude des Bundesverfassungsgerichts. Der Kupferbau war der letzte große Auftrag des im Jahr 1900 Geborenen.

Als erstes Hörsaalzentrum der Universität verfügt der Kupferbau über sieben Hörsäle mit Sitzkapazitäten von 50 bis 590 Plätzen. Unzählige Vorträge und Veranstaltungen mit vielen berühmten Rednerinnen und Rednern haben hier stattgefunden, Tagungen und Kongresse mit Weltwirkung und hin und wieder war er sogar von studentischen Protestgruppen besetzt. Wenn heute Kinderuni und Studium Generale in den Räumlichkeiten des Kupferbaus stattfinden, ist er so etwas wie eine Drei-Generationen-Universität. Ein Gebäude mit Ausstrahlung.

Deshalb ist es nur folgerichtig, dass vor dem Kupferbau eine Stahlplastik von Hans Uhlmann steht: „Turm mit allseitiger Ausstrahlung“ heißt dieses Raumzeichen, das wie eine raffinierte Faltfigur ein Wechselspiel von innen nach außen manifestiert, geradlinig und dynamisch. Auch diese Plastik war eine letzte große Auftragsarbeit, die der Bildhauer 1972 mit 72 Jahren realisierte und auch Hans Uhlmann war eine echte Größe der Nachkriegszeit: Nachdem er wegen Hochverrat gegen den Nationalsozialismus im Gefängnis gesessen hatte, wurde er nach dem Krieg Fachreferent für Malerei und Plastik und 1951 Professor in Berlin. Er gilt als eine zentrale Figur der deutschen Kunstszene und einer der wichtigsten Bildhauer Deutschlands. Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Besondere Bauten in der Region: der Kupferbau der Uni Tübingen

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Erstellt:
25.05.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 25.05.2022, 01:00 Uhr

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