Bewusster kaufen

„Bio“ steht nicht immer für regional und saisonal

„Regional und saisonal“, so lauten Schlagworte für einen möglichst umweltfreundlichen Einkauf. Seit 2001 versorgen Roger Keller und 20 Angestellte die Hofladen-Kunden in der Kilchberger Bahnhofstraße mit Bio-Nahrungsmitteln. Dabei trifft der 60-Jährige auf Menschen aus sämtlichen gesellschaftlichen Schichten.

19.06.2019

Seit Jahrzehnten erlebt Roger Keller Menschen beim Einkaufen. Bild: Monica Brana

Seit Jahrzehnten erlebt Roger Keller Menschen beim Einkaufen. Bild: Monica Brana

TAGBLATT ANZEIGER: Hatten Sie während Ihrer 40 Jahre in der Bio-Branche diesbezüglich Überraschungserlebnisse?

Roger Keller: Vor einigen Jahren hatten wir in der Region beispielsweise ein schlechtes Apfeljahr. Zuerst wollte ich es komplett vermeiden, Äpfel aus Übersee in das Sortiment zu übernehmen. Als die wenigen regionalen Vorräte aber verkauft waren, wollten die Kunden unbedingt weiter ihre Bio-Äpfel haben. Ein Erfahrungswert lautet deswegen, dass wir flexibel auf die Kundenwünsche eingehen müssen.

Und was tun Sie, wenn regionale Ware aufgebraucht ist?

Wir pflegen den persönlichen Kontakt zu regional – das heißt im Umkreis von etwa 150 Kilometern – ansässigen Produzenten. Ich persönlich halte zudem engen Kontakt zu zwei Großhändlern, bei denen ich genau nachvollziehen kann, woher die Ware kommt und unter welchen Umständen sie erzeugt wurde. Darüber hinaus versuchen wir, möglichst viel zertifizierte Verbandsware anzubieten, also beispielsweise von Demeter.

Welche Rolle spielt heutzutage ‚convenient food‘, das man schnell in der Mikrowelle oder im Ofen zubereiten kann? Ihre Ladenregale scheinen damit gut gefüllt zu sein.

Genießersachen wie TK-Pizzen, Chips, Kuchen zum Anrühren und anderes verkaufen sich gut. Die Leute verbringen nicht mehr so viel Zeit in der Küche, obwohl ich glaube, bei uns kaufen insgesamt eher noch die Leute ein, die zu Hause richtig kochen. Wer möchte, dem liefern wir regional angebautes Obst und Gemüse auch nach Hause oder an den Arbeitsplatz.

Wer kauft denn bei Ihnen ein?

Das lässt sich kaum pauschalisieren, auf unserem Parkplatz stellen die Leute Fahrräder und Pickup-Trucks ab. Insgesamt haben die Kunden wohl einen besonderen Bezug zu dem, was vor der eigenen Haustüre passiert, und „bio“ leistet sich eben nicht jeder. Entscheidend sind die individuellen Geldbeutel und die Lieferketten. Ich persönlich brauche zur Weihnacht keine Erdbeeren. Das versuche ich nach wie vor auch im Laden umzusetzen.

Wie schaut es auf der Produzentenseite aus? Was macht da „bio“ aus?

Im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft fließt dort weniger Energie hinein: Es wird nicht so intensiv gedüngt und die große Chemie-Keule, bei der keiner so genau weiß, was alles wie daran stirbt, wird nicht geschwungen. Außerdem gehen die Leute fairer miteinander um.

Sehen Sie zukunftsfähige Ideen im Bio-Bereich?

Großhändler bieten jetzt CO2-neutrale Lieferungen an. Nach wie vor kaufen aber viele Kunden gerne Produkte im Wegwerf-Tetrapack. Wir bieten als Alternative recht viele Glasverpackungen an, bei denen aber der unbequeme Pfand-Gang fällig wird. Insgesamt glaube ich aber nicht, dass es die Aufgabe eines Hofladens ist, die Kunden zu irgendetwas zu erziehen. Wir reagieren vielmehr auf die Wünsche der Kunden, bieten eigene Anregungen und lassen uns von neuen Angeboten der Großhändler inspirieren. Initiativen wie „Baden-Württemberg blüht“ (wir berichteten) können hierbei bewusstseinsbildend wirken und schlaglichtartig den Blick nach vorne schärfen.

Wohin können sich Leute wenden, wenn sie sich näher zu umweltbewusster Ernährung informieren möchten?

Tatsächlich liegt die Aufgabe, aktiv Informationen zu sammeln, noch großteils beim Kunden. Klassische Anlaufstellen wären Verbände auf übergreifender Ebene oder die lokalen Produzenten von nebenan.

Interview: Monica Brana

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Erstellt:
19.06.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 32sec
zuletzt aktualisiert: 19.06.2019, 01:00 Uhr

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