Aus der Luft und zu Fuß (16)

Breitenholz

Breitenholz ist der vermutlich ruhigste Ort des ganzen Landkreises. Der kleinste Teilort Ammerbuchs entzieht sich erfolgreich den Beschleunigungsversuchen, denen der Rest der Welt unterliegt. Nicht einmal die Ammertalbahn hält hier, man muss den Bus nach Entringen oder Herrenberg nehmen. Erst 2010 gab es hier ein schnelles Internet.

07.02.2018

Von Andrea Bachmann

Bild: Erich Sommer

Bild: Erich Sommer

Dass die Uhren hier in Breitenholz schon immer ein wenig langsamer tickten als anderswo, kann man auch an den drei noch erhaltenen „Gruabbänken“ sehen, von denen zwei am Ortsrand und eine mitten im Dorf stehen. „Gruaben“ ist schwäbisch und heißt „ausruhen“. Die torähnlichen hohen Steinbänke dienten als Ruheplätze, auf denen schwere Tragekörbe abgelegt werden konnten.

Außerdem verfügt Breitenholz über einen eigenen Diogenes, auch wenn der Philosoph am Schönbuchrand nicht in einer Tonne haust, sondern in einem Schäferkarren. Es sollte eigentlich nur ein einige Monate währendes Experiment sein, auf das sich Hans Anthon Wagner 1974 einließ, als er auf einem Hof bei Münsingen den Schäferkarren von 1864 als Motiv entdeckte und der Schäfer ihn dem Maler und Grafiker schenkte. Jetzt wohnt Wagner immer noch dort und fertigt vor allem Ortsansichten en miniature an, die er in seinem „Museumle“ in Breitenholz ausstellt. Wer sich die Zeichnungen, Holzschnitte und Lithografien anschauen oder in den Büchern voller Gedanken, Geschichten und Gedichten blättern möchte, braucht Zeit.

Die ist im Dorf ein wenig stehen geblieben. Breitenholz blieb von der Abbruchwelle der 1970er-Jahre weitgehend verschont und kann deshalb mit einer dörflichen Struktur aufwarten, die es nur noch selten gibt: Das Rathaus stammt noch von 1563, das ehemalige Gasthaus zum Lamm kann noch mit Bauelementen aus dem 17. Jahrhundert aufwarten. Die Gärten, Wiesen und Felder drumherum machen das Idyll perfekt. Und der Schönbuch ist direkt nebenan. Ein großer Teil des Waldes gehört zur Gemarkung Breitenholz.

Als 1827 die sogenannten Schönbuchgerechtigkeiten abgelöst und 1830 die Staatsdomänen zu Gemeindebezirken aufgeteilt wurden, bekam Breitenholz ein Waldstück, das bis zur Teufelsbrücke im Goldersbachtal reicht. Die Königliche Jagdhütte liegt ebenso auf der Gemarkung wie die alte Burgruine der Herren von Müneck. Das waren im 12. und 13. Jahrhundert Dienstherren der Pfalzgrafen von Tübingen und Ortsherren von Breitenholz, die Burg wird 1259 zum ersten Mal erwähnt. Sie lag am südlichen Schönbuchrand auf einem Vorsprung aus Stubensandstein. Von dort hat man noch heute einen fantastischen Blick über die Breitenholzer Weinberge und das Ammertal bis hinüber zur Schwäbischen Alb. Die Burg ist jedoch längst verfallen, nur ein paar frei gelegte Grundmauernreste und der ehemalige Burgwall sind noch zwischen den Bäumen und dem Waldboden zu erkennen. Der letzte Herr zu Müneck, ein gewisser Albrecht, war zwischen 1373 und 1383 Chorherr in Sindelfingen.

Die Burg verfiel und die Breitenholzer nutzten sie als Steinbruch, um Weinbergmauern und Wohnhäuser daraus zu bauen. Vielleicht stecken auch ein paar Steine in dem Kirchturm aus dem 14. Jahrhundert. Die Kirche war dem heiligen Wendelin geweiht, dem Schutzpatron der Bauern, Landarbeiter und Hirten. Er hätte sicherlich gern seine Tragekörbe auf den Gruabbänken abgestellt um sich auszuruhen.

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Erstellt:
07.02.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 07.02.2018, 01:00 Uhr

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