Wohnzimmer für alle

Das Projekt zur Umgestaltung des Haagtorplatzes ist seit Ende August zu Ende. Nun wird es ausgewert

Dreieinhalb Monate lang lud der sogenannte Haagtor-Space Passantinnen und Passanten auf dem Tübinger Haagtorplatz zum Verweilen und Entspannen ein.

13.09.2023

Pflanzentröge, Picknickbank und Hollywoodschaukel – das war die Wohlfühloase Haagtor-Space. Bild: Frieder Göhlich

Pflanzentröge, Picknickbank und Hollywoodschaukel – das war die Wohlfühloase Haagtor-Space. Bild: Frieder Göhlich

Tübingen. Am 31. August war es soweit: Die Sitzmöglichkeiten, Pflanzen und der Bücherschrank mussten wieder den Parkplätzen beim Haagtor weichen. Den gesamten Sommer über hinweg hatten Menschen dort die Möglichkeit gehabt, sich in der Mittagspause zum Essen bei den Picknicktischen zu treffen, ihre Kinder eine Weile im Sandkasten spielen zu lassen, oder in der Hollywoodschaukel Eis essend den Sommer zu genießen. Damit ist nun vorerst Schluss.

Das Projekt wurde bereits im vergangenen Jahr erstmals durch das Nachbarschaftsprojekt „Bürgerinitiative Haagtor-Space“ ins Leben gerufen – war damals allerdings noch deutlich spärlicher umgesetzt. So waren die Sitzmöbel 2022 noch aus Europaletten zusammengeschustert und die Dekoration mit den Pflanzen gar nicht vorhanden. Im Zuge des neuen Rahmenplans für die Altstadt bewarb sich die Initiative dieses Jahr bei der Stadt Tübingen um einen Platz im „Probiererle“-Programm und bekam eine Zusage.

Die „Probiererle“ waren – und sind noch – zeitlich befristete Projekte, die kreative Ideen von Privatpersonen, Organisationen, Vereinen oder Unternehmen zur zukünftigen Gestaltung der Tübinger Altstadt umsetzten. Betreut und unterstützt wird das städtische Programm von Carolin Seiberlich, einer studierten Urbanistin, die bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Tübingen arbeitet. Von anfangs 17 Bewerbern bekamen schlussendlich 7 Projekte die Zusage für ihre „Probiererle“-Idee.

Neben dem Haagtor-Space war das ein Filmprojekt namens „Videocity“, eine Zirkusoase vom Kinderzirkus Zambaioni, kleinere Kochshows auf dem Tübinger Wochenmarkt, das Stuhlprojekt „Re-Chair“ des Cafés Suedhang, ein Kunst- und Design-Pop-up-Store mit dem Namen „Stell dir vor ...“ und das „Café Musée“ vor dem Schloss. Finanzielle Unterstützung erhielten die Projekt über die Bundesförderung „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“, die einem befürchteten Absterben deutscher Innenstädte entgegenwirken soll. Außerdem beteiligte sich die Stadt Tübingen noch mit kommunalen Mitteln an der Förderung der sieben Projekte.

Mitte Mai dieses Jahres wurde der „Haagtor-Space“ dann feierlich von den Verantwortlichen der Bürgerinitiative eröffnet. Die Sitzgelegenheiten und Pflanzenkübel wurden größtenteils von der Stadtgärtnerei gestellt, die noch welche auf Vorrat hatte. Die Hollywood-Schaukel und der Bücherschrank hingegen wurden von der Initiative selbst mit den erhaltenen Fördermitteln erworben. Während der dreieinhalb Monate Projektzeit wurde aber nicht nur eine Wohlfühloase geschaffen. Die Initiative bot zudem auch noch rund ein Dutzend Veranstaltungen am Eingang zur Altstadt an: Da war von einem Konzert des Jugendorchesters vom Musikverein Derendingen über einen Spielenachmittag für Kinder bis hin zu einem Picknick mit dem Tübinger Bundestagsabgeordneten Chris Kühn (Bündnis 90/Die Grünen) für jeden was dabei.

Wie die Verantwortlichen beim Presserundgang Anfang September erzählten, wurde dieses Kulturangebot von den Anwohnern auch größtenteils sehr wohlwollend angenommen. Viele hätten sich sogar sehr gefreut, vor der eigenen Haustür eine gemütliche Sitzgelegenheit an der frischen Luft zu haben. Zwar habe es vereinzelt auch verärgerte Bürger gegeben, die ihren Parkplätzen beim Haagtor nachgetrauert hätten, doch seien diese Stimmen in den dreieinhalb Monaten eine Seltenheit geblieben.

Auch viele Passantinnen und Passanten scheinen die gemütlichen Sitzmöglichkeiten gerne in Anspruch genommen zu haben. Beim schönen Wetter der vergangenen Sommerwochen sah man viele Menschen, die sich nachmittags ein Eis kauften und auf einer der Liegen gemütlich eine Pause machten.

Wie erfolgreich das Projekt nun tatsächlich war, soll in den kommenden Wochen und Monaten von der Stadt evaluiert werden. Dafür werden nicht nur die Erfahrungen der Organisatoren ausschlaggebend sein, sondern auch die direkten Anwohner und das Tübinger Altstadtforum sollen nach ihrer Meinung befragt werden.

Mittelfristig soll die Verantwortung über das Projekt jedenfalls an die Stadt übergehen, die mit der künftig neuen Stelle des „City-Managers“ einen Posten schafft, der auf solcherlei Aufgabengebiete ausgerichtet sein wird. Allerdings betont die Stadtverwaltung, dass sie nicht die Kapazitäten habe, den Haagtor-Space im selben Umfang zu betreiben, wie dies in den Händen der Bürgerinitiative möglich war. So sei die Altstadt zwar das Herz und das Wohnzimmer der Stadt und habe somit eine gewisse Priorität bei den städtischen Interessen, doch sei es organisatorisch schlicht nicht möglich, den Bücherschrank und die regelmäßigen Veranstaltungen ebenfalls zu übernehmen. Diese müssten bei hoher Nachfrage weiterhin von Bürgerseite aus verwaltet und ausgerichtet werden.

Ein Wunsch der Verantwortlichen der Bürgerinitiative wäre, in den kommenden Jahren das Projekt gerne auch noch auf die Wintermonate auszuweiten. Dabei ist ihnen das große Spannungsfeld völlig bewusst, das dann mit den Anwohnern entstehen könnte. So ist es im Sommer durchaus besser zu verkraften, den Parkplatz nicht direkt vor der Haustür zu haben, als dies bei Minusgraden der Fall ist.

Als ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl für eine erfolgreiche Weiterführung des Haagtor-Spaces kann vielleicht der junge Baum gesehen werden, der vor kurzem beim Haagtor gepflanzt wurde. In 15 bis 20 Jahren kann er einmal Schatten für die bisher noch recht ungeschützte Ammerseite des Platzes spenden. Frieder Göhlich

Das Tübinger Altstadtforum ist ein Gremium, das seit Oktober 2022 existiert. Es ist Teil des Rahmenplans für die Altstadt und soll als „Stellvertretende Öffentlichkeit“ zentrale Fragestellungen und Schwerpunktthemen für die zukünftigen Gestaltung der Altstadt herausarbeiten.

Das Forum besteht aus 40 Vertreterinnen und Vertretern von Vereinen, Interessensgruppen, sonstigen Gremien, Bewohnern der Altstadt und anderer Stadtteile, gewerbetreibenden Personen in der Altstadt, sowie Vertretern der Stadtverwaltung. Bisher fanden vier Treffen statt. Die besprochenen Themen sind auf der Website der Stadt zu finden.

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Erstellt:
13.09.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 42sec
zuletzt aktualisiert: 13.09.2023, 01:00 Uhr

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