Der Kommentar

Die verlassene Westernstadt

27.01.2021

Von Werner Bauknecht

Das Tragische der Situation wurde mir sozusagen Schritt um Schritt bewusst. Beim Joggen. Und eher zufällig. Bei den sich überschlagenden und manchmal auch widersprüchlichen Informationen zur aktuellen Pandemie hat man ja kaum Zeit und Gelegenheit, die Gegenwart zu durchdenken und Eindrücke zu verarbeiten. Und schon wird die nächste Lockdown-Sau durchs Dorf gejagt. So sammelte ich meine neuesten Eindrücke zur Gegenwart am Samstag anlässlich eines Laufes von Tübingen nach Wurmlingen.

In Lustnau ging es los. Vorbei am Ruderhaus in der Gartenstraße. Zwei Jugendliche machten gymnastische Übungen am Neckarufer – klar, denn Rudern ist ja im Lockdown nicht erlaubt. Weiter Richtung Stadtmitte. Vorbei am Tennisgelände des TC Tübingen. Leere Plätze, verlassene Halle. Auch das Clubrestaurant „Da Giovanni“ darf nicht öffnen, die ganze Anlage liegt da, als habe man sie für alle Zeiten geschlossen. Die wenigen Fußgänger, die am Nachmittag unterwegs sind, tragen überwiegend Masken, auch wenn sie alleine gehen. Linker Hand dann die Tübinger Jugendherberge. Im Innern des Gebäudes direkt am Neckar ruhen 200 leere Betten. Vor dem 14. Februar ist dort keine Übernachtung möglich – frühestens. Denn inzwischen wissen wir ja, dass das mit den Lockdown-Terminen so eine Sache ist. Auch im Schwabenhaus ist das kulturelle Leben erloschen, die Kirchenmusikhochschschule kann keine Konzerte, Veranstaltungen oder Unterricht anbieten. Gleich daneben der malerische Biergarten am Neckarufer. Doch der iegt verlassen da, ebenso die Terrasse zum Fluss hin. Das mexikanische Restaurant - dicht, wer etwas zu essen will, kann sich zumindest bei „Kalender“ anstellen und etwas mitnehmen.

Weiter über die Neckarbrücke, vorbei an ratlosen Stadtbesuchern, die vor dem geschlossenen Büro des Verkehrsvereins stehen. Gegenüber die Buchhandlung Osiander, allerdings nicht geöffnet. Ebenso wenig wie das Uhlandbad oder das Hotel Krone mit angeschlossenem Café. Durch die Uhlandstraße wird es dann trostlos. Alles dicht, von der Fahrschule über den Druckerpatronenladen, natürlich alle Schulen, die Uhlandhalle und der Kindergarten beim Wildermuth-Gymnasium. Ein Lichtblick: Ein paar Junge üben beim Bikepark unter der Brücke. Doch dann ein Blick auf die verlassenen Anlagen des SV 03 und der TSG Tübingen. Trostlos. All das erinnert an eine verlassene Film-Westernstadt bei Almeria, die ich mal besucht habe. Nur noch Kulissen ohne Inhalt.

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Erstellt:
27.01.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 09sec
zuletzt aktualisiert: 27.01.2021, 01:00 Uhr

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