Platz mit Geschichte

Das Volksfest in Cannstatt feiert sein Jubiläum

Der „Cannstatter Wasen“ feiert dieses Jahr seinen 200. Geburtstag. Das Volksfest, das noch bis zum 14. Oktober geht, hat eine lange Tradition. Rainer Redies, Stuttgarter Autor, hat darüber ein Buch geschrieben.

04.10.2018

Der Cannstatter Autor Rainer Redies. Bild: privat

Der Cannstatter Autor Rainer Redies. Bild: privat

TAGBLATT ANZEIGER: Warum gibt es den Cannstatter Wasen?

Rainer Redies: Den Cannstatter Wasen als Festplatz gibt es, weil König Wilhelm I. aus einer Hungerkrise seines Landes die richtige Konsequenz gezogen und die Landwirtschaft zu einem Schwerpunkt seiner Politik gemacht hat: Die Leibeigenschaft der Bauern wurde abgeschafft, die heutige Universität Hohenheim gegründet und das Volksfest auf dem Cannstatter eingeführt. Dort stand zunächst die Prämiierung erfolgreicher Züchter im Mittelpunkt, aber natürlich wurde auch nach Herzenslust gevespert und getrunken wurde. Wenn Alt- und Neuwürttemberger zusammen feiern, sah der König richtig voraus, wird sich ein württembergisches Landesbewusstsein entwickeln.

Gab es in den 200 Jahren besondere Höhepunkte bei dem Volksfest?

1857 betrat König Wilhelm I. die Bühne der Weltpolitik und betätigte sich als Vermittler zwischen den seit dem Krimkrieg verfeindeten Großmächten Russland und Frankreich. Zu diesem mehrtägigen Staatsakt gehörte, dass Zar Alexander und Kaiser Napoleon III. gemeinsam mit dem Württembergischen König hoch zu Pferde das Volksfest besuchten.

Man stelle sich Ministerpräsident Kretschmann bei dem Versuch vor, die Präsidenten Putin und Trump beim Gang über den Wasen miteinander zu versöhnen! Anstelle hunderter Polizisten, die heutzutage für Sicherheit sorgen müssten, zog damals ein Gefolge von Kaleschen mit Kaiserinnen und Königinnen und wohl 200 Berittenen hinter den Hoheiten einher. Sie machten das so genannte Zwei-Kaiser-Treffen zum gewaltigen Spektakel, das bis heute unübertroffen blieb.

Ein Höhepunkt ganz anderer Art war das bescheidene Volksfest 1949 als Zeichen, dass es nach Kriegsnot und Hungerszeit endlich wieder bergauf ging. So mancher hat die erste Bratwurst, die es endlich wieder zu kaufen gab, als großes Ereignis im Gedächtnis behalten.

Was bedeutet die Fruchtsäule am Eingang zum Wasen? Ist das nur Schmuck oder hat sie eine tiefere Bedeutung?

Die Gestaltung seines Festes hat König Wilhelm keinem Geringeren als Hofarchitekt Nikolaus von Thouret anvertraut, einem bedeutenden Vertreter des Klassizismus. Er gab dem weithin sichtbaren und wegweisenden Zeichen die Form einer klassischen Säule und bestimmte jährlich darüber, wie sie geschmückt wurde. Später hat man sie mal als monarchistisches Relikt vom Festplatz verbannt, mal von den Nazis mit Hakenkreuz verunstaltet, aber heute und wohl auch in Zukunft steht sie unumstritten als Symbol für das Cannstatter Volksfest.

Steht der Wasen in Konkurrenz zur Wiesn in München? Steht es vielleicht sogar im Schatten, ist also nur Nummer 2?

Die Frage beantwortet sich für einen Schwaben von selbst: Es gibt nur ein Cannstatter Volksfest.

Was fanden Sie so faszinierend am Wasen, dass Sie darüber ein Buch geschrieben haben?

Der Wasen ist ein Platz mit großer Geschichte! Soldaten, Ballonfahrer, Flieger, Sportler, Künstler, Politiker und sogar Scharfrichter waren hier aktiv. Ich fand es lohnend, diesen vielfältigen Ereignissen nachzuforschen. Außerdem ist der Wasen ein Platz am Fluss und verfällt leider, wenn das Volksfest zu Ende und der Zirkus weitergezogen ist, in Dornröschenschlaf. Eine vertane Chance!

Wie lange haben Sie für das Buch gebraucht?

Vielleicht ein bis zwei Wochen pro Kapitel. Sie sind unabhängig voneinander über längere Zeit entstanden. Je nach Literatur, die zu lesen und Archivalien, die zu sichten waren, war der Aufwand unterschiedlich groß.

Gehen Sie selbst (noch) auf den Wasen? Wenn ja, was gefällt Ihnen am meisten? Wie finden Sie die Bierpreise?

Mit den Jahren wird man genügsam. Ein Spaziergang genügt mir, möglichst wenn die Buden und Geschäfte nacheinander aufmachen und der Geräuschpegel moderat ist. Der Bierpreis ist in Ordnung. Wem er zu hoch ist, kann gratis das belebende Cannstatter Sauerwasser trinken.

Fragen von Angelika Brieschke

Der Text- und Bildband von Rainer Redies heißt „200 Jahre Cannstatter Wasen“. Er ist im Südverlag erschienen und kostet 19.90 Euro.

Das Volksfest in Cannstatt feiert sein Jubiläum

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Erstellt:
04.10.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 04.10.2018, 01:00 Uhr

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