Der Kommentar

Irgendwie am Laufen halten, reicht nicht

25.11.2020

Von Angelika Brieschke

Dass in Deutschlands Schulen dringend was getan werden muss in Sachen Digitalisierung – das weiß man schon seit Jahren. Dass man aber dennoch seit Jahren nicht viel getan hat – das rächt sich jetzt unerbittlich. Wie toll wäre es, wenn unsere Schulen jetzt im kommenden Corona-Winter unproblematisch vom Live-Unterricht zum Fernlern-Unterricht umschalten könnten. Dem ist aber leider nicht so.

Nicht nur die Tübinger Stadtverwaltung arbeitet sich momentan tapfer durch mehrere schulische Medienentwicklungsprogramme des Bundes und des Landes, bei denen den Schulträgern wirklich jede Menge Geld vor die Füße gekippt wird, (siehe nebenstehendes Interview). Tübingen zum Beispiel hat allein aus drei Medienentwicklungsprogrammen mehr als 4 Millionen Euro zu verteilen. Beim vierten ist noch nicht mal klar, wie viel Geld die Stadt daraus erhält. Beantragt, bewilligt, erhalten und ausgegeben hat die Stadt bisher: knapp 700 000 Euro, rund 840 000 Euro sind beantragt. Schneller geht‘s nicht.

Wie ernst es der Politik jahrelang mit der Digitalisierung an den Schulen war, kann man ganz leicht daran absehen, was für eine (zusätzliche) personelle Ausstattung bisher dafür vorgesehen war: nämlich praktisch gar keine. In den Schulen kümmert sich üblicherweise ein einschlägig interessierter Lehrer mit wenigen Wochenstunden um einen heterogen angewachsenen Gerätepark für mehrere Hundertschaften an Schüler/innen und Lehrkräften.

Thomas Rudel, der Leiter des Tübinger Kreismedienzentrums, schilderte das vor kurzem drastisch bei einem Gespräch mit dem TAGBLATT ANZEIGER. Rudel war jahrelang an einem Gymnasium mit 1200 Schülern und 100 Lehrern zusammen mit einem Kollegen für das gesamte schulische Netzwerk verantwortlich gewesen. Zur Verfügung hatten sie dafür: je zwei, also insgesamt vier(!) Unterrichtsstunden pro Woche. „Da ging es vor allem darum, die Hardware irgendwie am Laufen zu halten und gelegentlich mal ein paar Gummibärchen aus den CD-Laufwerken zu holen“, erzählte er.

Bei solchen personellen Voraussetzungen drohte das viele Geld aus dem Digitalpakt der Bundesregierung – dem Schwergewicht unter den momentanen Medienentwicklungsprogrammen – auf direktem Weg zu einem veritablen Technik-Friedhof an den einzelnen Schulen zu führen. Eigentlich konnte man da fast froh sein, dass die Schulträger gar nicht so schnell mit der Bearbeitung der Geldanträge voran kamen.

Dass erst jetzt – beim dritten Medienentwicklungsprogramm, das Ende dieses Jahres startet – Geld für „personelle Unterstützung der Schulen mit Technikern und IT-Fachleuten kommen soll, ist mehr als schade. Für einen wahrscheinlichen Fernlern-Unterricht im jetzigen Corona-Winter ist das alles viel zu spät. Leider!

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Erstellt:
25.11.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 14sec
zuletzt aktualisiert: 25.11.2020, 01:00 Uhr

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