Zu früh erwachsen

Der AK Leben hilft in schwierigen Situationen

„Kritische und schwierige Lebensphasen sind etwas Normales im Leben“, heißt es im Flyer des Arbeitskreis Leben, der in Tübingen und Reutlingen tätig ist. Doch damit muss man nicht alleine fertig werden.

17.07.2019

Stephanie Hamann leistet Lebenshilfe. Bild: Gabriele Böhm

Stephanie Hamann leistet Lebenshilfe. Bild: Gabriele Böhm

Der AK Leben kümmert sich seit 1976 in seinen drei Beratungsstellen um Menschen, die alleine nicht mehr aus der Not herausfinden und in zugespitzten Situationen auch suizidgefährdet sein können. Dies betrifft auch schon Jugendliche. Diplompädagogin Stephanie Hamann leistet seit vielen Jahren Lebenshilfe.

Worin besteht die Hilfe des Arbeitskreises?

Stephanie Hamann: Wenn Menschen durch Trennungen, Verluste, Beziehungsprobleme, Krankheit oder Arbeitslosigkeit in Not sind, brauchen sie zeitnah Unterstützung. Der AK Leben hilft schnell und unbürokratisch. Man kann einfach anrufen oder vorbeikommen. Wir hören zu und sind auch im psychosozialen System der Landkreise Reutlingen und Tübingen vernetzt.

Wer sind die Helfer/innen?

Wir haben rund 55 ausgebildete Ehrenamtliche, sogenannte Krisenbegleiter – im Alter von Mitte 20 bis Mitte 70 – die für Menschen in Not da sind. Vielen Menschen in Krisen hilft es schon, einmal alles auf den Tisch legen und sich aussprechen zu können. Doch die Begleitung ist auch über einen längeren Zeitraum möglich. Das erste Gespräch ist kostenfrei, danach kommt es auf die Möglichkeiten des Einzelnen an.

Wie kann der AK Leben Jugendlichen helfen?

Es gibt beim AK Leben die Online-Jugendberatung „Youth-Life-Line.de“. Hier erhalten junge Menschen per Email Unterstützung. Auf der Homepage stellen sich die Mitarbeiter vor, die selbst zwischen 15 und 27 Jahre alt sind und sich gut in die Lebenswelt von Jugendlichen hineindenken können. Darüber hinaus bieten wir Unterrichtseinheiten an Schulen an und stellen dort unsere Angebote vor.

Wie ist die Kontaktaufnahme bei Youth-Life-Line?

Hier kann man seine Probleme mit einem anonymen Nickname eingeben und erhält spätestens am dritten Tag eine Antwort. Auf diese Weise entstehen Begleitungen auch über einen längeren Zeitraum.

Hat sich bei den Sorgen und Nöten der Jugendlichen über die Jahre etwas verändert?

Die Jugendzeit ist an sich eine schwierige Umbruchphase. Jugendliche müssen sich vom Elternhaus abnabeln und sich selbst finden. Das alleine ist schon nicht einfach. Körperliche Veränderungen müssen bewältigt werden, manchmal entsteht Leid durch Liebeskummer. Heutzutage kommt eine Überforderung auf vielen Ebenen hinzu: der Leistungsdruck durch die Schulen, die sozialen Medien, das Überangebot an Freizeitbeschäftigungen.

Welche Rolle spielt hierbei das Thema Suizid?

Bei Jugendlichen ist Suizid die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Rund 600 junge Menschen nehmen sich jährlich in Deutschland das Leben. Zusätzlich rechnet man mit rund 15000 Suizidversuchen. Die Ursachen für diese Verzweiflung sind vielfältig.

Was sind die Hauptgründe?

Durch das Internet erleben Kinder, Jugendliche und auch ihre Eltern eine Grenzenlosigkeit. Darin kann man sich leicht verlieren. Auch die sozialen Netzwerke bedeuten Stress. In einer Stunde können 50 bis 100 Nachrichten auf dem Smartphone eingehen, die man natürlich auch beantworten möchte. Manche Jugendliche tun dies bis spät in die Nacht hinein. Schlafstörungen sind oft die Folge.

Welche Rolle spielen die Eltern?

Auch die Erwachsenen unterliegen oft den Zwängen von Internet und sozialen Netzwerken. Scheidungen und Berufstätigkeit sind weitere Gründe, warum Eltern heute oft nicht mehr zum Reden zu Verfügung stehen. Jugendliche werden viel zu früh erwachsen. Manche trauen sich nicht, den Eltern von ihren Sorgen zu erzählen, um diese nicht zu beunruhigen.

Gibt es noch weitere Ursachen?

Auch Missbrauch, Gewalt und Schulden sind Dinge, mit denen Jugendliche zu kämpfen haben. Überall lockt der Konsum. Alkohol und Drogen sind ein weiteres Thema.

Woran erkenne ich, dass ein Jugendlicher Hilfe braucht?

Viele ziehen sich zurück. Wenn sie bisher begeisterte Fußballer waren, interessiert es sie plötzlich nicht mehr. Das Essverhalten kann sich ändern, die Schulleistungen können sich verschlechtern. Auch ständige Müdigkeit kann ein Warnzeichen sein. Manchmal wird auch geäußert: „Ich weiß gar nicht, wofür ich überhaupt lebe.“

Was können Eltern, Freunde, Geschwister, Lehrer tun?

Vor allem die Jugendlichen ernst nehmen. Ihnen zuhören, ohne zu bewerten, für sie da sein, aufmerksam sein. Wir brauchen dringend eine Kultur des Miteinanders.

Das Interview führte Gabriele Böhm

Der AK Leben in der Österbergstraße 4 in Tübingen ist erreichbar

Di, Do, Fr von 10 bis 13 Uhr; Mi von 15-17 Uhr. Telefon: 0 70 71 / 1 92 98

Email: akl-tuebingen@ak-leben.de

Jugend: www.Youth-Life-Line.de