Aus der Luft und zu Fuß (70 und Schluss)

Wurmlingen

20.03.2019

Von Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Wurmlingen

Der Graf Anselm von Calw, der um das Jahr 1000 lebte, war ein reiselustiger Mann, der viel in der Welt herumgekommen war, bis er sich aus Altersgründen zur Ruhe setzen musste. Als es mit ihm zu Ende ging, packte ihn noch einmal das Fernweh. Deshalb bestimmte er, dass man ihn nach seinem Tod in einem steinernen Sarg bestatten und diesen Sarg auf einen Wagen laden solle. Vor den Wagen solle man zwei ungebändigte Ochsen spannen und diese laufen lassen, wohin sie wollten. Dort sollte man eine Kapelle errichten und ihn dort begraben.

Warum die Ochsen den steinernen Sarg ausgerechnet auf den höchsten Punkt des Spitzbergs gezogen haben, wird niemand mehr ergründen. Auch das Grab des Grafen Anselm hat trotz mancher Bemühungen niemand gefunden. Da er Zeit seines Lebens am liebsten unter freiem Himmel genächtigt hatte, sollte auch seine letzte Ruhestätte wenigstens teilweise im Freien angelegt werden. Aber die Kapelle, die um 1050 erbaut wurde, ist längst das Wahrzeichen des Landkreises.

Lange Zeit war sie auch Pfarrkirche für die Wurmlinger Bevölkerung. Zwar existierte schon relativ früh im Dorf eine kleine Kapelle und auch der Pfarrer erhielt im 15. Jahrhundert das Recht, bei seinen Gemeindegliedern im Dorf zu wohnen, aber zumindest im Sommer fanden die Sonntagsgottesdienste stets in luftiger Höhe statt. Erst als 1820 die St.-Briccius-Kirche gebaut wurde, gab es nur noch wenige Gelegenheiten, um sich zur Kapelle auf den Berg aufzumachen.

Den nach Süden ausgerichteten Chor der St.-Briccius-Kirche ziert ein Fassadenbild, das den Erzengel Michael zeigt, wie er dabei ist, einem Drachen oder Lindwurm die Lanze in den Rachen zu stoßen. Solch ein Lindwurm soll in grauester Vorzeit im Kapellenberg gelebt und regelmäßig ein Bad im Neckar genommen haben. Dazu legte er seine goldene Krone am Ufer ab. Ein ebenso tapferes wie knitzes Bäuerlein legte eines schönen Tages ein weißes Leintuch auf die Neckarwiese und versteckte sich im Gebüsch. Der Lindwurm kam, um seinem Badevergnügen nachzugehen und legte seine goldene Krone auf dem so schön hingerichteten Leintuch ab. Kaum war er im Wasser, schnappte sich der Bauer Krone und Leintuch, begab sich eilends auf seinen Hof und verriegelte sorgfältig die Tür. Der Lindwurm machte – nichts. Er trollte sich davon und das Bäuerlein freute sich sein Lebtag an seinem Reichtum. Das Dorf hieß fortan – Wurmlingen.

Die beeindruckende neogotische Innengestaltung der Kirche von 1893 stammt von dem Rottenburger Kunst- und Kirchenmaler Carl Dehner, der nach einer Malerlehre und einigen Wanderjahren an der Kunstakademie in München studierte und dann in Rottenburg eine eigene Werkstatt gründete, bevor er 1896 wieder nach München zurück ging.

Zwischen schmuckem Dorf mit vielen frisch renovierten Fachwerkhäusern und Wurmlinger Kapelle wird an den Südhanglagen seit dem 13. Jahrhundert Wein angebaut. Auch hier bedient man sich ungewöhnlicher, aber cleverer Methoden: Man setzt die Rebstöcke ins Gras, damit nur gemäht und nicht gehackt werden muss und pflanzt sie in Querreihen auf den steilen Kapellenberg: Das hat den Vorteil, dass man bei der Arbeit im Wengert nicht pausenlos rauf- und runterklettern und über störende Weinbergmauern steigen muss. Andrea Bachmann /

Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
20.03.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 39sec
zuletzt aktualisiert: 20.03.2019, 01:00 Uhr

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