Wir haben viel dazugelernt

Der Gymnasiallehrer Thomas Rudel ist der Leiter des Kreismedienzentrums Tübingen.

15.07.2020

Thomas Rudel, Leiter des Medienzentrums, links neben ihm ein Bäumchen aus dem Medienkoffer Bibel. Bild: Angelika Brieschke

Thomas Rudel, Leiter des Medienzentrums, links neben ihm ein Bäumchen aus dem Medienkoffer Bibel. Bild: Angelika Brieschke

TAGBLATT ANZEIGER: Was ist ein Kreismedienzentrum?

Thomas Rudel: Jeder Kreis in Baden-Württemberg unterhält mindestens ein Medienzentrum. Sie beschaffen für die Schulen audiovisuelle und digitale Medien. Hier in Tübingen haben wir etwa 15 000 Medien im Verleih, viele davon sind online abrufbar. Sehr gefragt sind auch unsere Medienkoffer zu regionalen Themen oder die Präventionsarbeit. Darüber hinaus bieten wir Unterstützungs- und Beratungsangebote für Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulträger.

Zu uns dürfen im Prinzip alle Kreisbewohner kommen, wir sind eine öffentliche Einrichtung. Kostenfrei sind unsere Angebote auch für die Jugend- und Erwachsenenbildung, also zum Beispiel für lokale Vereine.

Wie sind Sie zum Bereich „Medienbildung“ gekommen?

Ich bin schon lange im Bereich IT und Medienbildung unterwegs und habe damit ein Teil meines Studiums finanziert. Eingeschrieben war ich für die Fächer Chemie, Deutsch und Geographie. Meine erste Schulstelle am Wildermuthgymnasium habe ich auch wegen meiner IT-Kenntnisse bekommen. Da ging es vor allem darum, die Hardware irgendwie am Laufen zu halten und gelegentlich mal ein paar Gummibärchen aus den CD-Laufwerken zu holen. Genug Arbeit mit 1200 Schüler/innen – wir waren zu zweit für das schulische Netzwerk verantwortlich und ich hatte dafür zwei Unterrichtsstunden pro Woche Zeit.

Gleichzeitig war ich da schon als medienpädagogischer Berater am Medienzentrum tätig. Als der damalige Leiter vor 10 Jahren in Pension ging, habe ich seine Stelle übernommen – seitdem verbringe ich 80 Prozent meiner Arbeitszeit am Medienzentrum, den Rest an meiner jetzigen Schule, dem Uhlandgymnasium.

Wie war für die Schulen die Schließung wegen Corona?

Zunächst war das einfach eine große Herausforderung – Fernunterricht für die gesamte Schülerschaft mit digitalen Medien, darüber hatten wir ja vorher überhaupt nie nachgedacht.

Wir haben schnell gelernt, dass digitaler Unterricht den „normalen“ Schulunterricht nicht eins zu eins ersetzen kann. Manche Schulen haben zunächst einfach den Stundenplan genommen und die entsprechenden Stunden dann online durchgeführt. Das ist naheliegend, weil es von der Planung relativ einfach ist. Leider funktioniert das auf Dauer nicht gut: Online-Unterricht ist viel anstrengender, für Lehrende und für Lernende – man ist da viel schneller müde, die Aufmerksamkeit sinkt kontinuierlich. Und eigentlich wollen weder wir Lehrkräfte noch die Eltern, dass die Kinder täglich stundenlang vor dem Bildschirm hocken. Andererseits erschöpft sich auch die Freude an unzähligen Arbeitsblättern relativ bald. Wir haben viel dazugelernt und ich bin sehr beeindruckt, was viele Kolleg/innen mit großem Einsatz geschafft haben.

Ich selbst hatte gute Voraussetzungen für den Fernunterricht: Ich unterrichte relativ wenig und kann nach Lust und Laune auf die Technik des Medienzentrums zurückgreifen. Mit meiner Fünfer-Klasse, die ich in Medienbildung fit machen soll, konnte ich eine inzwischen sehr umfangreiche Internetpräsenz aufbauen. Meine Schüler/innen gestalten inzwischen viele Inhalte selbst und tauschen sich rege über Bücher, Backtipps, Musik oder Filme aus. Sie vertonen Gedichte oder berichten von ihren Erfahrungen während der Schulschließung. Ich vermute, keine meiner Klasse war je so fit im Umgang mit Medien wie sie.

Aber trotz positiver Beispiele – die es sicher an jeder Schule gibt – ist klar: Deutschland ist bei der Digitalisierung im Bildungsbereich ein Entwicklungsland. Es hat sich ja nach den Schulschließungen schnell herausgestellt, dass unsere schulische Infrastruktur nicht auf diese Anforderungen vorbereitet war. Die Lernplattformen waren relativ schnell überlastet, ebenso unsere Medienserver. Videokonferenzsysteme mussten wir überhaupt erst aufbauen.

Aber das Land und viele Schulträger haben super reagiert: Innerhalb kurzer Zeit konnte nahezu jede Schule auf ein funktionierendes Lern-Managment-System zugreifen, meist eine Moodle-Plattform. Inzwischen läuft auch alles ziemlich stabil. Für den Video-Unterricht steht das Programm BigBlueButton allen Schulen kostenlos zur Verfügung. Für die Kommunikation untereinander stellt uns das Land Threema-Work als Alternative zu WhatsApp bereit, das wir aus Datenschutzgründen nicht verwenden dürfen.

Wie war der Lockdown für das Medienzentrum?

In vielen Bereichen wurde die Arbeit heruntergefahren: Der Medienverleih und die Beratungen vor Ort kamen zunächst zum Erliegen. Stattdessen hatten wir dann sehr viele technische Anfragen. Wir haben beim Einrichten der Lernplattformen geholfen, Videokonferenzsysteme aufgesetzt und erprobt und viele Webinaren abgehalten – zunächst zu technischen Fragen, inzwischen vermehrt zu Methodik und Didaktik des Fernunterrichts. Wir suchen auch nach geeigneten Materialien für den Online-Unterricht und vernetzen Kolleginnen und Kollegen untereinander.

Aktuell produzieren wir kleine Erklärvideos, zum Beispiel zum Thema ‚Wie verhalte ich mich in einer Videokonferenz?‘ – Dafür hätten wir normalerweise wohl nie richtig Zeit gefunden.

Muss man da was erklären?

Ja, da gibt es einiges zu klären. Nicht nur Technisches, wie zum Beispiel: Wo stelle ich den Laptop hin, damit die anderen mich gut sehen? Oder warum es sinnvoll ist, den Ton und die Kamera auszumachen, wenn der Lehrer was erklärt.

Es geht auch um Privatsphäre und die veränderte Unterrichtssituation. Wenn ich weiß, dass am Videounterricht nicht nur meine Schüler/innen teilnehmen, sondern noch weitere Familienmitglieder, dann überlege ich mir genauer, wie ich einzelne Kinder korrigiere.

Familienmitglieder, die beim Online-Unterricht dabei sind?

Das sollte jede Lehrkraft im Kopf haben: Wir wissen nicht, wer außer unseren Schüler/innen noch am Videounterricht teilnimmt – bei manchen häuslichen Konstellationen sicher auch unfreiwillig. Wenn ich zu meinen Schülern sage ‚Grüßt mal Eure Eltern“, dann dreht sich die Hälfte der Kinder um und winkt nach hinten. Das ist jetzt nicht gut oder schlecht, aber es ist eine andere Situation als im Klassenzimmer, der für Kinder und Jugendliche ja nicht ohne Grund auch ein geschützter Raum ist.

Hat das Medienzentrum auch mit dem Digitalpakt der Bundesregierung zu tun?

Meine beiden pädagogischen Mitarbeiter, ebenfalls Lehrkräfte, die jeweils mit 40 Prozent ans Medienzentrum abgeordnet sind, sind seit Mai 2019 fast ausschließlich damit beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Schulträger bei der Erstellung und Umsetzung eines Medienentwicklungsplanes zu beraten. Es gibt im Landkreis rund 100 Schulen mit den unterschiedlichsten Schulträgern.

Dabei geht es nicht nur um ein technisches Konzept, sondern auch um ein pädagogisches. Wir brauchen nicht nur verlässlich funktionierende Hardware, sondern auch Lehrkräfte, die damit souverän unterrichten können. Weil das in der Ausbildung kaum zur Sprache kommt und sich die Technik auch schnell verändert, brauchen wir überzeugende Fortbildungskonzepte. Im Prinzip sollte man den Medienentwicklungsplan einer Schule stets als Teil eines Schulentwicklungsprozesses begreifen.

Zum Digitalpakt gibt es viele Fragen, vor allem was das Einrichten, die Wartung und den Support angeht. Da ist vieles noch gar nicht geklärt: Zum Beispiel, wer kümmert sich um die Wartung der mobilen Endgeräte? Und wer zahlt das? Müssen die Schulträger da jemanden für einstellen?

Wie weit ist der Kreis mit dem Digitalpakt inzwischen?

Ich gehe davon aus, dass inzwischen wohl alle Schulen im Kreis konkrete Überlegungen zu ihrer Medienentwicklung anstellen. Ungefähr ein Viertel ist schon soweit abgeschlossen, dass sie das Geld einholen können. Der Plan ist, dass 2022 alle Gelder abgerufen sein sollen und bis 2024 alle Baumaßnahmen – wie Einrichtung eines Computerraums, Anbindung der Schule ans Glasfasernetz, WLAN in den Klassenzimmern – abgeschlossen sind. Aber auch danach muss weiter in Technik und Ausbildung investiert werden.

Fragen: Angelika Brieschke

https://kmz.kreis-tuebingen.de/

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Erstellt:
15.07.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 36sec
zuletzt aktualisiert: 15.07.2020, 01:00 Uhr

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